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Elementarteilchen

Elementarteilchen

Titel: Elementarteilchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Houellebecq
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Doch als er das Geräusch des Korkens hörte, wurde er wieder munter und hielt sein Glas hin. Er trank langsam, in kleinen Schlucken; sein Blick war jetzt abgeschweift und schwebte in Höhe des Heizkörpers; Bruno schien nicht in der Verfassung zu sein, weiterzureden. Michel zögerte, schaltete dann den Fernseher ein: Es lief eine Tiersendung über Kaninchen. Er schaltete den Ton ab. Vielleicht ging es auch um Hasen - er verwechselte sie stets. Er war erstaunt, als er erneut Brunos Stimme hörte: »Ich habe gerade versucht, mich zu erinnern, wie lange ich in Dijon geblieben bin. Vier Jahre? Fünf Jahre? Wenn man erst mal in die Arbeitswelt eingestiegen ist, sind alle Jahre gleich. Die einzigen Ereignisse, die man noch erlebt, sind medizinischer Art - und die Kinder, die größer werden. Victor wurde größer; er nannte mich >Papa<«
        Plötzlich begann er zu weinen. Er war auf dem Sofa in sich zusammengesunken und weinte schluchzend und schnaubend. Michel blickte auf seine Armbanduhr; es war kurz nach vier. Auf dem Bildschirm sah man eine Wildkatze, die den Kadaver eines Kaninchens im Maul hielt.
        Bruno zog ein Papiertaschentuch hervor und wischte sich die Augenwinkel ab. Die Tränen liefen ihm weiter über die Wangen. Er dachte an seinen Sohn. Armer kleiner Victor, der Comicfiguren aus St range abmalte und ihn liebte. Er hatte ihm so wenige Augenblicke des Glücks gegeben, so wenige Augenblicke der Liebe - und jetzt wurde er schon fünfzehn, und die Zeit des Glücks war für ihn vorbei.
        »Anne hätte gern noch mehr Kinder gehabt, im Grunde war sie mit dem Leben als Hausfrau und Mutter völlig zufrieden. Ich habe sie dazu überredet, nach Paris zurückzugehen und sich um eine Stelle zu bemühen. Natürlich hat sie es nicht gewagt, sich zu weigern - um sich wirklich zu entfalten, müssen die Frauen einen Beruf ausüben, das dachten damals alle oder taten zumindest so; und sie legte besonders großen Wert darauf, das gleiche zu denken wie alle. Mir war völlig klar, daß wir im Grunde nach Paris zurückgingen, um uns in Ruhe scheiden lassen zu können. Immerhin treffen sich die Leute in der Provinz und sprechen miteinander; und ich legte keinen Wert darauf, daß meine Scheidung ihnen Gesprächsstoff lieferte, nicht einmal, wenn es zustimmende, gutgemeinte Worte waren. Im Sommer '89 sind wir in den Club Med gefahren, das waren unsere letzten gemeinsamen Ferien. Ich erinnere mich noch an ihre blöden Spiele beim Aperitif und die vielen Stunden, die ich am Strand verbracht und die kleinen Miezen angestarrt habe; Anne unterhielt sich mit den anderen Müttern. Wenn sie sich auf den Bauch legte, sah man ihre Zellulitis; wenn sie sich auf den Rücken legte, sah man ihre Schwangerschaftsstreifen. Es war in Marokko, die Araber waren unfreundlich und aggressiv, die Sonne viel zu heiß. Da riskierst du, dir Hautkrebs zu holen, und wozu? Um jeden Abend in deiner Hütte zu verbringen und dir einen runterzuholen? Nein, das lohnt sich nicht. Aber Victor hat die Ferien genossen, er hat viel Spaß im Mini Club gehabt ...« Brunos Stimme zitterte wieder.
        »Ich habe mich benommen wie ein Schwein; ich wußte, daß ich ein Schwein war. Normalerweise opfern sich die Eltern auf, das ist die normale Art. Ich konnte es nicht ertragen, daß meine Jugend zu Ende war; konnte den Gedanken nicht ertragen, daß mein Sohn größer wurde und an meiner Stelle jung sein und es im Leben vielleicht zu etwas bringen würde, während ich mein Leben verpfuscht hatte. Ich wollte wieder ein individuelles Wesen sein.«
    »Eine Monade ...«, sagte Michel leise.
        Bruno ging nicht darauf ein, leerte sein Glas. »Die Flasche ist leer ...«, bemerkte er mit leicht abwesendem Ton. Er stand auf, zog seine Jacke an. Michel begleitete ihn zur Tür. »Ich liebe meinen Sohn«, sagte Bruno noch. »Ich würde es nicht ertragen, wenn er einen Unfall hätte oder ihm sonst etwas zustößt. Ich liebe dieses Kind über alles. Und dabei ist es mir nie gelungen, sein Dasein zu akzeptieren.« Michel nickte. Bruno ging zum Aufzug.
        Michel ging zu seinem Arbeitstisch und schrieb: »Etwas über Blut notieren« auf ein Blatt Papier; dann legte er sich hin und hatte das Bedürfnis, nachzudenken, schlief aber fast augenblicklich ein. Ein paar Tage später fand er das Blatt wieder, schrieb: »Das Gesetz des Blutes« direkt darunter und war etwa zehn Minuten perplex.

    14

        Am Morgen des 1. September wartete Bruno im Gare du Nord auf

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