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Elementarteilchen

Elementarteilchen

Titel: Elementarteilchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Houellebecq
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in Victors Zimmer. Das Kind hatte geschissen. Wo zum Teufel blieb denn Anne? Diese Alphabetisierungskurse für irgendwelche Neger gingen immer später zu Ende. Er nahm die

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    verschmutzte Windel und warf sie aufs Parkett; der Gestank war unerträglich. Das Kind schluckte die Mischung ohne Schwierigkeiten herunter und wurde plötzlich starr, wie vom Schlag getroffen. Bruno zog seine Jacke an und ging ins Madison, eine Nachtbar in der Rue Chaudronnerie. Mit seiner Kreditkarte bezahlte er dreitausend Franc für eine Flasche Dom Pérignon, die er mit einer sehr hübschen Blondine leerte; in einem der Zimmer im oberen Stock holte ihm das Mädchen langsam einen runter und legte ab und zu eine Pause ein, um die Lust zu bremsen. Sie hieß Hé1ène, stammte aus der näheren Umgebung und studierte Touristik; sie war neunzehn. Als er in sie eindrang, zog sie ihre Scheidenmuskeln zusammen - er erlebte wenigstens drei Minuten völliges Glück. Bevor Bruno wegging, küßte er sie auf den Mund und bestand darauf, ihr ein Trinkgeld zu geben - er hatte noch dreihundert Franc in bar in der Tasche.
        In der darauffolgenden Woche beschloß er, seine Texte einem Kollegen zu zeigen - einem etwa fünfzigjährigen, sehr feinsinnigen, marxistischen Philologen, der im Ruf stand, homosexuell zu sein. Fajardie war angenehm überrascht. »Der Einfluß von Claudel ... oder vielleicht eher von Péguy, dem Péguy des vers libre ... Aber das ist gerade daran originell, das findet man heute kaum noch.« Er wußte auch sofort, was zu tun war: » L'Infini. Da wird heutzutage die Literatur gemacht. Sie müssen Sollers Ihre Texte schicken.« Etwas überrascht ließ sich Bruno den Namen wiederholen - stellte fest, daß er ihn mit einer Matratzenmarke verwechselt hatte, und schickte dann seine Texte ab. Drei Wochen später rief er im Verlag Denoël an; zu seiner großen Überraschung nahm Sollers das Gespräch entgegen und schlug ihm einen Termin für ein Treffen vor. Er hatte mittwochs keinen Unterricht und konnte gut am selben Tag hin und zurück fahren. Im Zug versuchte er, sich in Seltsame Einsamkeit zu versenken, gab es aber ziemlich schnell wieder auf, es gelang ihm dagegen, ein paar Seiten aus Frauen zu lesen - vor allem die Passagen, in denen es um Sex ging. Sie waren in einem Bistro in der Rue de l'Université verabredet. Der Herausgeber traf mit zehn Minuten Verspätung ein, streckte die Zigarettenspitze vor, der er seinen Ruhm verdankte. »Sie leben in der Provinz? Das ist nichts. Sie müssen nach Paris kommen und zwar sofort. Sie haben Talent.« Er kündigte Bruno an, daß er den Text über Johannes Paul II. In der nächsten Nummer des L‘ Infini veröffentlichen würde. Bruno war sprachlos; er wußte nicht, daß Sollers gerade mitten in seiner »katholischen Gegenreform-Phase« war, und gab zahlreiche begeisterte Erklärungen zugunsten des Papstes ab. »Péguy, da fahre ich voll drauf ab!« sagte der Herausgeber schwungvoll. »Und Sade! Sade! Lesen Sie vor allem Sade! ...«
    »Und mein Text über die Familien ...«
        »Ja, auch sehr gut. Sie sind reaktionär, das ist gut. Alle großen Schriftsteller sind reaktionär. Balzac, Flaubert, Baudelaire, Dostojewskij: alles Reaktionäre. Aber man muß ja auch vögeln, nicht? Sexparties. Das ist wichtig.«
        Sollers verabschiedete sich nach fünf Minuten und ließ Bruno in einem leicht narzißtischen Rauschzustand zurück. Auf der Rückfahrt beruhigte er sich allmählich wieder. Philippe Sollers schien ein bekannter Schriftsteller zu sein; und trotzdem gelang es ihm nur, wie die Lektüre von Frauen deutlich zeigte, abgehalfterte Schlampen aus der Kulturszene zu ficken; die kleinen Miezen zogen offensichtlich Sänger vor. Was brachte es unter solchen Bedingungen schon, idiotische Gedichte in einer beschissenen Zeitschrift zu veröffentlichen?
        »Als das Heft erschien«, fuhr Bruno fort, »habe ich immerhin fünf Exemplare des L‘ Infini gekauft. Zum Glück hatten sie den Text über Johannes Paul II. nicht veröffentlicht.« Er seufzte. »Es war wirklich ein schlechter Text ... Hast du noch Wein?«
        »Nur noch eine Flasche.« Michel ging in die Küche und holte die letzte Flasche aus dem Sechserpack Vieux Papes; er war allmählich wirklich müde. »Du arbeitest morgen, oder nicht?« sagte er. Bruno reagierte nicht. Er starrte auf einen bestimmten Punkt des Parketts; aber an dieser Stelle des Parketts war nichts, nichts Bestimmtes; nur ein paar schmutzige Flusen.

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