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Elementarteilchen

Elementarteilchen

Titel: Elementarteilchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Houellebecq
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Christiane. Sie war mit dem Bus von Noyon nach Amiens gefahren und hatte dann den Eilzug nach Paris genommen. Es war ein wunderschöner Tag; ihr Zug traf um 11 Uhr 37 ein. Sie trug ein langes geblümtes Kleid mit Spitzenbündchen. Er umarmte sie. Ihre Herzen pochten laut.
        Sie aßen in einem indischen Restaurant zu Mittag, dann gingen sie zu ihm nach Hause, um miteinander zu schlafen. Er hatte das Parkett gebohnert, Blumen in die Vasen gestellt; die Bettlaken waren sauber und rochen gut. Er schaffte es, die Penetration lange durchzuhalten und zu warten, bis sie kam; die Sonne drang durch die Ritzen in den Vorhängen herein und ließ ihr schwarzes, leicht grau schimmerndes Haar glänzen. Sie hatte einen ersten Orgasmus und gleich darauf einen zweiten, heftige Kontraktionen durchliefen ihre Scheide; in dem Augenblick kam er in ihr. Gleich darauf schmiegte er sich an sie, und sie schliefen ein.
        Als sie aufwachten, versank die Sonne zwischen den Hochhäusern; es war gegen sieben. Bruno machte eine Flasche Weißwein auf. Er hatte nie jemandem von den Jahren nach seiner Rückkehr aus Dijon erzählt; jetzt würde er es tun.

    »Im Herbst 1989 hat Anne eine Stelle im Lycée Condorcet bekommen. Wir haben uns eine kleine, ziemlich dunkle Dreizimmerwohnung in der Rue Rodier gemietet. Victor ging in die Vorschule, und ich konnte jetzt frei über meine Zeit verfügen. Zu diesem Zeitpunkt habe ich angefangen, zu den Nutten zu ge- hen. Es gab mehrere thailändische Massagesalons in unserm Viertel - New Bangkok, Lotus d‘or, Mai Lin; die Mädchen waren höflich und freundlich, das war alles sehr angenehm. Zur gleichen Zeit habe ich mich in psychiatrische Behandlung begeben; ich erinnere mich nicht mehr so genau, aber ich glaube, er trug einen Bart, aber vielleicht verwechsele ich das mit einem Film. Ich habe angefangen, ihm meine Jugend zu erzählen, und habe auch viel über die Massagesalons gesprochen - ich spürte, daß er mich verachtete, das hat mir gutgetan. Wie auch immer, im Januar habe ich den Arzt gewechselt. Der neue war gut, er hatte seine Praxis in der Nähe von Strasbourg-Saint-Denis, auf dem Weg zurück konnte ich in die eine oder andere Peep-Show gehen. Er hieß Dr. Azoulay und hatte immer ein paar Nummern von Paris Match im Wartesaal liegen: Kurz gesagt, er machte den Eindruck, ein guter Arzt zu sein. Mein Fall interessierte ihn nicht sonderlich, aber das nehme ich ihm nicht übel - es war natürlich eine völlig banale Geschichte, ich war bloß ein frustrierter, alternder Idiot, der seine Frau nicht mehr begehrte. Etwa zur gleichen Zeit wurde er als Sachverständiger in einem Prozeß gegen eine Gruppe von satanistischen jugendlichen hinzugezogen, die ein geistig behindertes Mädchen in Stücke gesägt und verschlungen hatten - ich gebe zu, diese Sache war erheblich reizvoller. Am Ende jedes Gesprächs riet er mir, Sport zu treiben, das war geradezu eine fixe Idee bei ihm - allerdings muß man sagen, daß er selbst allmählich einen Bauch ansetzte. Wie dem auch sei, die Gespräche waren angenehm, wenn auch etwas eintönig; das einzige Thema, das ihn etwas aufhorchen ließ, war die Beziehung, die ich mit meinen Eltern unterhielt. Anfang Februar konnte ich ihm eine wirklich interessante kleine Geschichte erzählen. Die Sache hatte sich im Warteraum des Mai Lin abgespielt; als ich hereinkam, habe ich mich neben einen Typen gesetzt, dessen Gesicht mir irgendwie bekannt vorkam - aber ganz vage, das war nur ein unbestimmter Eindruck. Dann hat man ihn gebeten, nach oben zu kommen, und ich bin gleich danach raufgegangen. Die Massagekabinen waren durch einen Plastikvorhang voneinander getrennt, es gab nur zwei Kabinen, ich war also zwangsläufig neben dem Typen. In dem Augenblick, als das Mädchen anfing, mir den Unterleib mit ihrem eingeseiften Busen zu streicheln, hatte ich plötzlich eine Eingebung: Der Typ neben mir, der sich gerade ein body body m achen ließ, war mein Vater. Er war alt geworden, inzwischen sah er wirklich wie ein Rentner aus, aber er war es, da gab es keinen Zweifel. Gleichzeitig hörte ich, wie er kam und dabei ein leises Geräusch machte, wie eine Blase, die sich entleert. Nachdem auch ich gekommen war, habe ich ein paar Minuten gewartet, ehe ich mich anzog; ich hatte keine Lust, ihm auf dem Flur zu begegnen. Aber am Tag, an dem ich dem Psychiater diese Geschichte erzählt habe, habe ich auf dem Weg nach Hause den alten Mann angerufen. Er schien überrascht - und eher erfreut -, von

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