Elementarteilchen
seinem Sessel zurückgelehnt und die Hände hinter dem Kopf verschränkt; einen Augenblick habe ich geglaubt, er würde die Füße auf seinen Schreibtisch legen, aber schließlich hat er es doch nicht getan. Er beugte sich wieder vor, konnte nicht ruhig sitzen.
>Also, was machen wir damit?<
>Ich weiß nicht, Sie könnten vielleicht meinen Text veröffentlichen.<
>Oh, là là!< prustete er, als hätte ich einen guten Witz gemacht. >Eine Veröffentlichung im L‘ Infini? Mein Bester, wie stellen Sie sich das vor? Die Zeiten von Cé1ine sind vorbei. Über manche Themen kann man heute nicht mehr schreiben, was man will ... mit so einem Text könnte ich mir wirklich Ärger einhandeln. Glauben Sie, daß ich nicht so schon genug Ärger habe? Glauben Sie, ich könnte machen, was ich will, nur weil ich bei Gallimard bin? Sie dürfen nicht vergessen, daß man mir ständig auf die Finger sieht. Man wartet nur darauf, daß ich einen Fehler mache. Nein, nein, das kann ich nicht verantworten. Was haben Sie denn sonst noch dabei?<
Er schien wirklich überrascht zu sein, daß ich keinen anderen Text mitgebracht hatte. Und mir tat es leid, daß ich ihn enttäuschte, ich wäre so gern sein Bester gewesen und hätte mich von ihm zum Tanzen ausführen und mir Whiskys in der Bar des Pont Royal spendieren lassen. Als ich wieder draußen auf dem Bürgersteig stand, war ich einen Augenblick völlig verzweifelt. Frauen schlenderten über den Boulevard Saint-Germain, es war ein heißer Spätnachmittag, und ich hatte begriffen, daß ich nie ein Schriftsteller werden würde; und außerdem hatte ich begriffen, daß mir das scheißegal war. Aber was sollte ich dann machen? Die Hälfte meines Gehalts gab ich bereits für Sex aus, es war unbegreiflich, daß Anne noch nichts davon gemerkt hatte. Ich hätte dem Front National beitreten können, aber was hatte es für einen Sinn, mit Halbidioten Sauerkraut zu essen? Außerdem gibt es bei den Rechten keine Frauen, und wenn, dann vögeln sie mit Fallschirmspringern. Dieser Text war völlig absurd, ich habe ihn in die erstbeste Mülltonne geworfen. Ich mußte meine Position als >humanistischer Linker< beibehalten, das war meine einzige Chance, um zu bumsen, da war ich mir ganz sicher. Ich habe mich auf die Terrasse des Escurial gesetzt. Mein Penis war heiß, geschwollen und schmerzte. Ich habe zwei Bier getrunken und bin dann zu Fuß nach Hause gegangen. Als ich die Seine überquerte, habe ich mich an Adjila erinnert. Eine Nordafrikanerin aus meiner elften Klasse, sehr hübsch, sehr schlank. Gute Schülerin, fleißig und den anderen ein Jahr voraus. Sie hatte ein kluges, sanftes Gesicht, war überhaupt nicht spöttisch; sie wollte unbedingt ihre Schulzeit erfolgreich hinter sich bringen, das sah man. Oft leben diese Mädchen mitten unter brutalen Kerlen und Mördern, man braucht nur etwas nett zu ihnen zu sein. Ich habe wieder angefangen, an die Sache zu glauben. In den folgenden zwei Wochen habe ich mit ihr gesprochen und sie an die Tafel kommen lassen. Sie erwiderte meine Blicke und schien das nicht seltsam zu finden. Ich mußte mich beeilen, es war schon Anfang Juni. Wenn sie an ihren Platz zurückging, sah ich ihren kleinen, knackigen Arsch in den hautengen Jeans. Sie hat mir so gefallen, daß ich nicht mehr zu den Nutten gegangen bin. Ich stellte mir vor, wie mein Pimmel durch ihr weiches langes schwarzes Haar fuhr; ich habe mir sogar über einem ihrer Aufsätze einen runtergeholt.
Am Freitag, den 11. Juni, hatte sie einen kurzen schwarzen Rock an, der Unterricht ging um sechs Uhr zu Ende. Sie saß in der ersten Reihe. Als sie ihre Beine unter dem Tisch übereinanderschlug, wäre ich um ein Haar in Ohnmacht gefallen. Sie saß neben einer dicken Blonden, die nach dem Klingeln sehr schnell weggegangen ist. Ich bin aufgestanden und habe meine Hand auf ihr Schulheft gelegt. Sie ist sitzen geblieben und schien es gar nicht eilig zu haben. Alle Schüler sind nach draußen gegangen, und im Klassenraum wurde es wieder still. Ich hatte ihr Heft in der Hand und konnte sogar ein paar Worte lesen: > Remember... die Hölle ...< Ich habe mich neben sie gesetzt und das Heft wieder auf den Tisch gelegt; aber ich brachte kein Wort über die Lippen. Wir sind mindestens eine Minute lang wortlos so nebeneinander sitzen geblieben. Ich habe mehrmals meinen Blick in ihre großen schwarzen Augen vertieft; aber ich habe auch jede einzelne ihrer Bewegungen und das geringste Beben ihres
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