Elementarteilchen
unerträgliches moralisches Leid zu erzeugen. Die sexuelle Befriedigung (der stärkste Sinnesgenuß, den der Mensch erleben kann) beruht im wesentlichen auf taktilen Empfindungen, insbesondere auf der gezielten Reizung bestimmter Zonen der Epidermis, die mit Krause -Endkolben übersät sind, welche ihrerseits mit Neuronen verbunden sind, die im Hypothalamus eine verstärkte Freisetzung von Endorphinen bewirken können. Dieses einfache System ist im Lauf zahlloser Generationen kultureller Entwicklung im Neocortex durch eine komplexere geistige Konstruktion überlagert worden, die an die Phantasmen und (vor allem bei den Frauen) an die Liebe appelliert. Die Dünen am Strand von Marseillan - zumindest ist das meine Hypothese - dürfen nicht als ein Ort unkontrollierter Steigerung der Phantasmen betrachtet werden, sondern ganz im Gegenteil als eine Einrichtung, die es erlaubt, die sexuellen Erwartungen wieder ins Gleichgewicht zu bringen, also als ein geographisches Fundament für den Versuch, zum Normalzustand zurückzufinden - und das im wesentlichen auf der Basis des Prinzips des guten Willens. Konkret gesehen kann jedes Paar, das sich im Bereich zwischen dem Dünenstreifen und der Wassergrenze befindet, die Initiative zu unzüchtigen Handlungen in der Öffentlichkeit ergreifen; häufig sind es die Frauen, die ihren Begleiter wichsen oder lecken, häufig revanchieren sich die Männer mit der entsprechenden Gegenleistung. Die benachbarten Paare betrachten diese Liebkosungen mitbesonderer Aufmerksamkeit, treten näher, um besser sehen zu können, und folgen nach und nach ihrem Beispiel. Ausgehend vom ersten Paar breitet sich so am Strand sehr schnell eine unglaublich erregende Welle von Liebkosungen und Wollust aus. Während die sexuelle Besessenheit zunimmt, kommen zahlreiche Paare hinzu, um sich in Gruppen unzüchtiger Handlungen zu bemüßigen; aber es muß erwähnt werden, daß jede Annäherung zuvor die - zumeist ausdrückliche - Einwilligung der Beteiligten voraussetzt. Wenn sich eine Frau einer nicht erwünschten Liebkosung entziehen will, deutet sie es einfach mit einer Kopfbewegung an - und ruft damit augenblicklich bei dem Mann eine förmliche, fast komische Entschuldigung hervor.
Die außerordentlich korrekte Haltung der männlichen Teilnehmer ist noch auffallender, wenn man sich ins Landesinnere vorwagt, also jenseits des Dünenbeginns. Diese Zone ist allerdings traditionellerweise den - zumeist männlichen - gangbang-Anhängern vorbehalten. Den Auslöser bildet auch dort ein Paar, das sich einer intimen Liebkosung hingibt - im allgemeinen einer Fellatio. Sehr bald werden die beiden Partner von etwa zehn oder zwanzig einzelnen Männern umgeben. Sitzend, stehend oder auf den Fersen hockend onanieren sie, während sie dieser Szene beiwohnen. Manchmal bleibt es dabei, das Paar kehrt wieder zu der anfänglichen Liebkosung zurück, und die Zuschauer verlaufen sich nach und nach. Manchmal deutet die Frau mit einer Handbewegung an, daß sie einen Mann masturbieren oder lecken möchte, oder daß sie sich von anderen Männern penetrieren lassen will. Dann lösen sich die Männer ohne besondere Hast nacheinander ab. Wenn sie aufhören möchte, deutet sie es ebenfalls mit einer einfachen Geste an. Kein Wort wird gewechselt; man hört deutlich den Wind, der durch die Dünen pfeift und über die Grasflächen streicht. Manchmal läßt der Wind nach; dann herrscht völlige Stille, die nur vom lustvollen Stöhnen unterbrochen wird.
Es ist nicht meine Absicht, das FKK-Zentrum am Cap d'Agde unter dem idyllischen Gesichtspunkt irgendeiner fourieristischen Kommune darzustellen. Am Cap d'Agde wie auch anderswo ist eine Frau mit jungem, ansprechendem Körper oder ein markanter, gutaussehender Mann schmeichelhaften Angeboten ausgesetzt. Am Cap d'Agde wie auch anderswo ist ein fettes alterndes oder häßliches Individuum zur Onanie verdammt - mit dem Unterschied allerdings, daß diese, in öffentlichen Einrichtungen im allgemeinen untersagte Tätigkeit hier mit freundlichem Wohlwollen betrachtet wird. Was trotz allem überrascht, ist die Tatsache, daß solch unterschiedliche sexuelle Aktivitäten, die ungemein erregender sind als all das, was in pornographischen Filmen gezeigt wird, dort stattfinden können, ohne die geringste Gewalt, geschweige denn den leisesten Verstoß gegen die Höflichkeit hervorzurufen. Ich möchte hier erneut den Begriff der >sozialdemokratischen Sexualität< einführen, da ich dazu neige,
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