Elementarteilchen
Kirschwasser ein, um den Abend zu beschließen. Die beiden innerhalb des Ferienzentrums betriebenen Diskotheken für Paare spielten im libertären Leben des deutschen Ehepaars im Grunde nur eine untergeordnete Rolle. Das Cléopâtre und das Absolu litten stark unter der Konkurrenz des Extasia, das sich außerhalb der Nudistenkolonie auf dem Gelände der Gemeinde Marseillan befand: Das eindrucksvoll ausgestattete Extasia (dark room, peep room, geheiztes Schwimm bad, Whirlpool und seit kurzem den schönsten mirror room in der ganzen Region Languedoc-Roussillon) hatte, statt sich auf seinen, bereits Anfang der 70er Jahre erworbenen Lorbeeren auszuruhen, seinen Status als »magische Disco« zu erhalten verstanden, wozu nicht zuletzt die bezaubernde Umgebung beigetragen hatte. Hannelore und Rudi schlugen ihnenjedoch vor, am folgenden Abend ins Cléopâtre zu gehen. Das Cléopâtre, das kleiner war und sich durch eine gesellige, herzliche Atmosphäre auszeichnete, war ihrer Meinung nach ein ausgezeichneter Ausgangspunkt für ein Anfängerpaar und lag wirklich mitten im Ferienzentrum: Es bot die Gelegenheit, nach dem Essen ohne große Umstände mit Freunden ein Glas zu trinken; und den Frauen erlaubte es zugleich, ihre neu erworbene erotische Garderobe in einer sympathischen Umgebung zu testen. Rudi reichte erneut die Flasche Kirschwasser herum. Keiner von den vieren hatte sich wieder angezogen. Bruno stellte zu seinem Entzücken fest, daß er weniger als eine Stunde, nachdem er zwischen Hannelores Lippen gekommen war, schon wieder eine Erektion hatte; er äußerte sich darüber mit Worten, die von naiver Begeisterung durchdrungen waren. Ganz ergriffen begann Christiane ihm unter den gerührten Blicken ihrer neuen Freunde einen runterzuholen. Gegen Ende hockte sich Hannelore zwischen seine Schenkel und saugte mit kleinen Zungenschlägen an seinem Glied, während Christiane ihn weiter strei- chelte. Rudi, der schon etwas hinüber war, wiederholte mechanisch: »Gut ... gut ...« Sie trennten sich ziemlich betrunken, aber in glänzender Stimmung. Bruno erzählte Christiane von den Fünf Freunden, von der Ähnlichkeit zwischen ihr und dem Bild, das er sich seit jeher von George gemacht hat; es fehlte nur noch, wie er meinte, der brave Hund Timmy.
Am nächsten Nachmittag gingen sie gemeinsam an den Strand. Für einen Septembertag war es schön und sehr heiß. Es war angenehm, sagte sich Bruno, zu viert nackt am Wasser entlangzulaufen. Es war angenehm zu wissen, daß es keinerlei Meinungsverschiedenheiten geben würde, daß die sexuellen Probleme bereits gelöst waren; es war angenehm zu wissen, daß jeder sich bemühen würde, so gut er konnte, die Sinnenfreuden der anderen zu erhöhen.
Der FKK-Strand von Cap d'Agde ist über drei Kilometer lang und fällt sanft ins Wasser ab, so daß das Baden dort ungefährlich ist, selbst für kleine Kinder. Der größte Teil des Strands ist im übrigen den Familien vorbehalten, zum Baden sowie für sportliche Aktivitäten (Surfen, Federball, Drachen steigen lassen). Es wird stillschweigend geduldet, erklärte Rudi, daß die Paare auf der Suche nach einer libertären Erfahrung sich am östlichen Ende des Strands einfinden, jenseits der Strandbar von Marseillan. Die mit Rundhölzern befestigten Dünen bilden dort einen leichten Vorsprung. Wenn man auf der Kuppe dieser Hügel steht, sieht man auf der einen Seite den Strand, der sanft zum Meer hinabfällt, und auf der anderen einen welligen Streifen aus Dünen und flachen Mulden, in denen hier und dort Steineichenwäldchen angepflanzt sind. Sie ließen sich am Strand nieder, direkt unterhalb der hügeligen Dünen. Etwa zweihundert Paare waren dort auf engem Raum versammelt. Einige einzelne Männer hatten sich mitten zwischen den Paaren niedergelassen; andere gingen auf der Grenzlinie zu den Dünen auf und ab, inspizierten abwechselnd beide Richtungen.
»In den zwei Wochen, die wir dort verbracht haben, sind wir jeden Nachmittag an diesen Strand gegangen«, hatte Bruno in seinem Artikel weiter geschrieben. »Natürlich ist es möglich, zu sterben oder den Tod in Betracht zu ziehen, und die Sinnenfreuden der Menschen einer scharfen Kritik zu unterziehen. Wenn man jedoch diese radikale Haltung zurückweist, bilden die Dünen am Strand von Marseillan - und diesen Nachweis bemühe ich mich hier zu erbringen - den geeigneten Ort für ein humanistisches Angebot, das die Sinnenlust eines jeden zu maximieren sucht, ohne bei irgend jemandem
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