Elena - Ein Leben für Pferde
sehen, auf jeden Fall nicht so. Sie hatte das Gesicht in beiden Händen verborgen und schluchzte.
»Mama«, flüsterte ich beklommen, »was hast du denn?«
Sie hob den Kopf und fuhr sich mit dem Handrücken über die Augen. »Ach Elena. Ich dachte, du schläfst noch.«
Ich hätte schon tot sein müssen, um bei Papas Gebrüll nicht aufzuwachen, dachte ich. Aber das sagte ich nicht laut.
»Was ist denn passiert?«, fragte ich leise.
»Am Freitag war der Gerichtsvollzieher da«, sagte Mama.
Noch nie hatte ich sie so deprimiert gesehen wie jetzt. Sie saß einfach nur da, blass, mit hängenden Schultern, und starrte vor sich hin.
»Und warum?«, erkundigte ich mich zaghaft. Eigentlich wollte ich es gar nicht wissen. Ich wollte nicht, dass Mama weinte. Das machte mir Angst. Mama ist eigentlich immer guter Laune, im Gegensatz zu Papa schreit sie nie herum und bleibt ruhig, egal was passiert.
»Setz dich mal her«, sagte sie und ich zögerte einen Moment, bevor ich gehorchte. Stocksteif saß ich auf dem Küchenstuhl und hoffte, dass sie gleich lächeln und mich in den Arm nehmen würde, so wie sonst auch. Aber das tat sie nicht.
»Also«, begann Mama. »Du weißt ja, dass der Amselhof Opa und Oma gehört.«
Ich nickte.
»Für alles, was Opa in den letzten Jahren auf dem Hof angeschafft oder gebaut hat, hat er sich bei der Bank Geld geliehen«, fuhr Mama fort. »Das nennt man Darlehen.«
Ja, das Wort hatte ich schon gehört.
»Er hat sich allerdings sehr viel mehr Geld geliehen, als er der Bank zurückbezahlen konnte. Und deshalb hat er Schulden.« Mama seufzte wieder. »Ziemlich viele Schulden. Und jetzt will die Bank ihr Geld zurückhaben und hat den Gerichtsvollzieher geschickt, um es zu holen.«
Das Gute an Mama war, dass sie immer die Wahrheit sagte und nie so etwas wie: »Dazu bist du noch zu klein« oder: »Das verstehst du noch nicht.«
Nun stand sie auf und ging zum Kühlschrank, nahm eine Flasche Wasser heraus, schenkte sich ein Glas ein und trank einen Schluck.
»Das Einzige, was Opa besitzt, ist der Amselhof«, sagte sie nach einer Weile. »Und wenn er nun das Geld für die Bank nicht bis Ende des Monats auftreibt, dann soll der Amselhof zwangsversteigert werden.«
»Was bedeutet das?«, fragte ich. Meine Stimme klang, als hätte ich einen Frosch im Hals. Irgendwie ahnte ich, dass es nichts Gutes bedeuten konnte. Aber Mama fand wohl, sie sei aufrichtig genug zu mir gewesen.
»Ach, jetzt mach dir nicht so viele Gedanken«, sagte sie und straffte die Schultern. Obwohl ihre Augen noch ganz rot vom Weinen waren, gelang ihr sogar ein Lächeln. »Papa und ich werden gleich morgen mit den Leuten von der Bank sprechen und schauen, was sich machen lässt.«
Das beruhigte mich nicht im Geringsten. Ich dachte an das Geld in meinem Sparpferd, das ich eigentlich für andere Zwecke gespart hatte, für ein Handy, eine Trense für Fritzi oder einen MP3-Player. Es war mittlerweile eine ganze Menge.
»Wie viel Geld schuldet Opa denn der Bank?«, flüsterte ich.
»Nach allem, was wir bisher wissen, sechshunderttausend Euro«, sagte Mama.
Ich war erwiesenermaßen keine Leuchte in Mathe, aber ich verstand, dass die Lage ernst war, sogar sehr ernst. In meinem Sparpferd befanden sich laut meinem gestrigen Kassensturz gerade einmal hundertzwölf Euro und sechzehn Cent.
Die Stallungen lagen noch im Dunkeln, nur im Turnierstall brannte das Licht. Christian hatte das Radio angestellt und sang halblaut mit, während er seine Stute striegelte. Alles war wie immer an einem frühen Morgen im Stall und doch war alles anders.
»Hey«, sagte er, als er mich sah. »Kannst du vielleicht Paradiso putzen?«
»Klar.« Ich nahm ein Halfter vom Haken und holte den Fuchswallach aus seiner Box. Mähne und Schweif waren voller Strohhalme und ein paar Zöpfchen hatten sich gelöst. Ich zog ihm die Stalldecke aus und begann damit, die Strohhalme aus dem Schweif zu lesen.
»Wo ist Papa?«, fragte er.
»Wohl frühstücken«, erwiderte ich wortkarg. Ich war ihm im Hof begegnet, aber er war einfach stumm an mir vorbeimarschiert.
»Ziemliche Scheißstimmung«, stellte Christian fest. »Ist ja kein Wunder. Komm, geh rum, du alte Kuh.«
Er klopfte Ronalda gegen die Flanke und das Pferd trat gehorsam einen Schritt zu Seite. Eine Weile arbeiteten wir schweigend, aber ich war nicht richtig bei der Sache. Ich ließ Striegel und Kardätsche sinken.
»Mama hat eben geweint«, sagte ich leise.
»Es ist ja auch zum Heulen.« Christian
Weitere Kostenlose Bücher