Elena - Ein Leben für Pferde
anderen im Weg. Da hatte jemand einen Fleck auf der weißen Reithose, eine andere hatte ihre Reitkappe zu Hause vergessen, und das Schulpferd Akim hatte sich hingelegt und nun einen hässlichen gelben Fleck in seinem weißen Fell.
Ich hatte noch Zeit, denn ich würde erst später im A-Springen starten. Erst vor ein paar Tagen hatte Papa mir im Vorbeigehen mitgeteilt, dass ich auf dem Vereinsturnier mit Phönix starten sollte.
»Du kannst schließlich nicht ewig nur dieses Pony reiten«, hatte er gesagt.
Phönix war ein sechsjähriger Wallach, den Papa im Frühjahr gegen ein anderes Pferd getauscht hatte. Nach ein paar Tagen hatte er gesagt, dass dies mein Pferd werden sollte, aber im Sommer hatte Phönix sich verletzt und musste eine ganze Weile geschont werden. Das war noch vor den schlimmen Ereignissen gewesen, zu einer Zeit, als noch alles in Ordnung zu sein schien. Umso mehr freute ich mich nun, dass Papa sein Versprechen nicht vergessen hatte.
Bevor in der Reithalle das Dressurviereck aufgebaut wurde, ritt Papa noch seine Pferde. Stumm führte er Cornado an Opa vorbei, der gerade die Bande abgekehrt hatte, damit die Reithalle für das Turnier ordentlich aussah. Melike und ich hatten Sirius bereits eingeflochten und setzten uns, weil wir nichts Besseres zu tun hatten, auf die Tribüne, um Papa beim Reiten zuzusehen. Der Aknefrosch Jens stand frierend zwischen den Hindernissen und trat von einem Bein auf das andere.
»Die Stange zwei Meter fünfzig vor den Steilsprung!«, wies Papa ihn an.
Cornado bockte und schlug übermütig aus. Er war erst gestern frisch geschoren worden und die kalte Luft weckte seine Lebensgeister.
»Elena!«, rief Papa plötzlich und ich zuckte hoch. »Sag Christian, dass er Qantas bereit machen soll! Und zwar gleich. Ich will fertig sein, bevor hier der ganze Zirkus losgeht.«
»Ich geh schon!« Melike sprang auf und war verschwunden, bevor ich noch etwas sagen konnte.
Sie würde sich lieber die Zunge abbeißen, als es zuzugeben, aber ich hatte seit einer Weile den Verdacht, dass sie heimlich in Christian verliebt war. Zugegeben, mein Bruder war nicht unbedingt hässlich, auf Turnieren hingen dauernd irgendwelche Mädchen in seiner Nähe herum und hier im Stall war er sowieso der Hahn im Korb.
Doch ich hatte nicht lange Zeit, darüber nachzudenken, wie absolut blöd es für mich wäre, wenn Melike ausgerechnet mit meinem Bruder zusammenkommen würde, denn in diesem Moment betrat ein Mann die Halle. Es war der Schweizer Pferdehändler Gerhard Nötzli, unverkennbar mit seiner grünen Daunenjacke und der unvermeidlichen Zigarre im Mund.
»Guten Tag, Elena«, sagte er zu mir.
»Guten Tag, Herr Nötzli.«
Ich konnte den Pferdehändler gut leiden. Er behandelte mich immer höflich und hörte mir aufmerksam zu. Herr Nötzli wurde von allen mit großem Respekt behandelt. Jeder Reiter kannte ihn und ich war jedes Mal wieder beeindruckt, wie nett und bescheiden er doch war, obwohl er mit den berühmtesten Reitern der Welt Geschäfte machte. Er war ganz anders als die meisten Pferdehändler, die ich kannte. Heute aber musste ich daran denken, was Mama neulich im Lkw zu Papa gesagt hatte. Ich mochte nicht glauben, dass Herr Nötzli Papa nur ausnutzte, trotzdem sah ich ihn auf einmal in einem etwas anderen Licht als bisher.
»Habt ihr heute ein Concours hier?«, fragte er mit seinem drolligen Schweizer Akzent.
»Ja, Vereinsmeisterschaften.«
»Wirst du auch daran teilnehmen?« Herr Nötzli lächelte mir freundlich durch den Rauch seiner Zigarre zu.
»Klar«, antwortete ich. »Ich reite später das A-Springen mit Phönix und Sirius.«
»Hallo, Gerhard.« Papa parierte Cornado an der Bande neben uns durch. »Du kommst gerade zur richtigen Zeit. Elena, sag Christian, er soll die zwei neuen Pferde fertig machen. Qantas kann an die Führmaschine.«
»Okay«, antwortete ich und flitzte los.
Christian und Melike kamen mir in der Putzhalle mit Qantas, dem jungen Rappwallach, entgegen und ich richtete meinem Bruder Papas Anweisung aus. Schimpfend wendete Christian das Pferd und bahnte sich seinen Weg durch den Tumult der aufgeregten Reiter zurück.
»Schnell, lauf ihm nach!«, rief ich Melike zu und grinste.
»Du bist doof!« Melike streckte die Zunge raus, folgte Christian dann aber zurück in den Stall.
»Elena?«, rief Opa und winkte mir. »Kannst du mir in der Meldestelle helfen, bis Tanja kommt?«
»Klar.« Ich folgte ihm in die große Sattelkammer des Schulstalls, wo er einen Tisch
Weitere Kostenlose Bücher