Elena - Ein Leben für Pferde
Stimme.
Die Wolken waren am Mond vorbeigezogen, plötzlich wurde es wieder heller und ich konnte sein Gesicht erkennen. Und das … Mofa!
»Was ist das denn?«, fragte ich und riss erstaunt die Augen auf. Heutzutage fuhr jeder, der etwas auf sich hielt, einen Roller. So ein Gebilde wie das, mit dem Tim hierhergekommen war, hatte ich noch nie gesehen. Mit dem lang gestreckten Tank und der Sitzbank sah es beinahe aus wie ein zu klein geratenes Motorrad.
»Cool, was?« Tim grinste stolz und ließ meine Hand los. »Ein richtiges Moped darf ich ja noch nicht fahren und das Teil hier hab ich letzten Sommer bei uns in der Scheune gefunden und etwas aufgemöbelt.«
»Und … äh … was ist das genau?«
»Ein Mofa. Eine Hercules G3. Baujahr 1978. Mein Vater hatte sogar noch die Papiere für das Ding.« Er nahm den Helm vom Lenker und klopfte auf die Sitzbank. »Mit so ’nem schnieken Roller kann jeder fahren. Aber ich wette, in der ganzen Gegend gibt’s keinen Zweiten, der eine Hercules G3 fährt.«
Das glaubte ich ihm aufs Wort. Zweifellos war das Mofa … hm … anders. So wie auch Tim anders war als alle Jungs, die ich kannte. Es passte irgendwie zu ihm. Und es gefiel mir.
»Mir hat’s übrigens auch Spaß gemacht.« Tim setzte sich auf sein Mofa, kramte den Zündschlüssel aus einer Jackentasche und steckte ihn ins Zündschloss. »Jetzt muss ich aber los. Gleich morgen schaue ich mir die Wiese an. Wir sehen uns dann am Montag, okay?«
»Okay.« Ich nickte. »Mach’s gut.«
»Du auch.« Er lächelte mich noch einmal an, bevor er den Helm aufsetzte, seine altertümliche Hercules G3 anließ und losfuhr.
Ich sah ihm nach, wie er auf die Straße einbog und davonbrauste. Das Knattern des Motors wurde leiser und verklang schließlich in der Ferne.
Ich blieb noch einen Augenblick stehen, dann drehte ich mich um und trottete langsam zurück zum Hof. Ich war auf das Gefühl der Einsamkeit nicht gefasst, das mich ganz unerwartet überfiel, aber trotzdem hatte ich überhaupt keine Lust, zurück in die Reithalle zu all den Leuten zu gehen. Am liebsten wollte ich jetzt allein sein und an Tim denken. An Tim, der extra wegen mir bei dieser Kälte mit dem Mofa auf den Amselhof gekommen war und riskiert hatte, von Christian oder einem anderen entdeckt zu werden. Ich stieß einen tiefen Seufzer aus und kämpfte gegen die aufsteigenden Tränen an. Was war bloß los mit mir? Irgendwie war ich total traurig, oder … Ich blieb stehen.
»Oder total verliebt«, flüsterte ich. Verdammt! Genau das war’s! Ich war verliebt! Verliebt in einen Jungen, mit dem ich noch nicht einmal reden durfte. Warum musste Tim auch ausgerechnet der Sohn von Richard Jungblut sein! Papa würde mir den Kopf abreißen oder mir hundert Jahre Hausarrest verpassen, wenn er jemals davon erfahren sollte. In dem Moment fiel mir Melike ein. Hoffentlich war sie noch nicht nach Hause gefahren! Plötzlich löste sich mein Trübsinn in Luft auf. Egal, welche Probleme noch auftauchen mochten, eigentlich hatte ich allen Grund, im siebten Himmel zu schweben! Und davon musste ich Melike unbedingt und auf der Stelle erzählen.
12. Kapitel
Am Montagmorgen staunte ich nicht schlecht, als ich Tim im Schulbus sitzen sah. Normalerweise nahmen die Schüler, die aus Hettenbach kamen, den Bus, der direkt nach Königshofen fuhr und nicht den Umweg über Steinau machte. Tim saß ganz hinten auf der Bank und winkte mir, als ich am Rathaus einstieg. Unwillkürlich schnellte mein Puls von 80 auf 200 und ich rammte Melike meinen Ellbogen in die Seite, als sie sich gerade auf einen der vorderen Sitze fallen lassen wollte.
»Dahinten sitzt Tim!«, zischte ich.
Sie reckte den Hals und konnte sich ein breites Grinsen nicht verkneifen.
»Ach nee«, sagte sie. »Da hast du wohl trotz Pickel und Zahnspange mächtig Eindruck gemacht.«
Ich lief blutrot an. »Du bist echt doof.«
»Weiß ich doch.« Melike grinste immer noch, als wir Tim erreicht hatten. »Na, Tim, wolltest du heute mal etwas länger im Bus sitzen?«
»Hey!« Er sprang auf und ließ uns auf die letzten beiden freien Plätze der Rückbank durchrutschen. »Nee, ich war zu früh an der Bushaltestelle und dachte, dann fahr ich heute mal über Steinau.«
Es war fast zu viel für mich, so dicht neben ihm zu sitzen. Bei jeder Kurve drückte mich die Fliehkraft gegen ihn und ich bekam beinahe einen Krampf im Bein, weil ich vermeiden wollte, dass sich unsere Knie berührten.
»Hast du dir die Wiese angesehen?«
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