Elena - Ein Leben für Pferde
sein konnten. Von nun an würde ich die Leute hier im Stall mit anderen Augen sehen. Wer von denen, die mit Papa am Tresen ein Bier tranken und ihm leutselig auf die Schulter klopften, wenn er gerade wieder ein schwieriges Springen gewonnen hatte, meinte es wohl ehrlich? Sie sonnten sich im Erfolg von Michael Weiland, wenn sein Name groß in der Zeitung stand oder er mal wieder im Fernsehen gezeigt worden war. In Wirklichkeit waren sie jedoch neidisch. Sie sahen nur die Erfolge, die goldenen Schleifen und Pokale – aber sie sahen nicht die Arbeit, die dahintersteckte, die Sorgen und die enttäuschten Hoffnungen, wenn ein gutes Pferd krank oder vom Besitzer weggeholt wurde, was auch ab und zu vorkam.
Engelbert und Corinna hatten den Stall verlassen. Melike und ich traten hinaus auf die Stallgasse. Ich wischte mir die Zornestränen ab.
»Mit denen rede ich nie wieder ein Wort, das schwöre ich!«
»Ich auch nicht.« Melike war genauso empört wie ich. »Meinst du, dass es echt so übel aussieht?«
»Ich glaube schon«, sagte ich niedergeschlagen.
In dem Moment tauchte Mama am Ende der Stallgasse auf.
»Da seid ihr ja.« Sie kam näher und ihr Blick fiel auf mein verheultes Gesicht. »Was ist denn los, Elena? Ist etwas passiert?«
»Wir haben zufällig ein Gespräch von Corinna und Engelbert mitangehört …«, erklärte Melike.
»Und die waren so fies!«, unterbrach ich meine Freundin schluchzend. »Was die alles gesagt haben! Es würde uns recht geschehen, wenn wir den Amselhof verlieren, und dass wir uns gar nicht um unsere Schulden kümmern, sondern weiter in Saus und Braus leben.«
Mama wurde blass. »Ja, das hört sich ganz nach Corinna an«, sagte sie leise. »Mach dir nichts draus, Elena.« Sie legte mir tröstend den Arm um die Schulter. »Lass sie doch reden! Die Leute müssen eben immer etwas zu quatschen haben. Vielleicht sind sie auch einfach nur neidisch und ärgern sich, weil wir uns nichts anmerken lassen.«
»Aber sie tun immer so scheißfreundlich.« Ich fuhr mir mit dem Handrücken über die Augen. »Das ist so gemein!«
Mama seufzte. »Die Menschen sind selten so, wie sie zu sein vorgeben. Aber wir kriegen das alles wieder hin. Alles wird gut. Und weißt du auch, warum ich so fest daran glaube?«
»Nein«, murmelte ich.
»Weil ich’s denen zeigen will«, erwiderte Mama. »Leuten wie Corinna und Engelbert. Deshalb.«
20. Kapitel
Das neue Jahr war schon zwei Wochen alt und die Schule hatte wieder begonnen. Noch nie hatte ich das Ende der Schulferien so herbeigesehnt wie in diesem Jahr. Ich vermisste Tim, denn in den Ferien gab es keine Gelegenheit, ihn zu sehen. Hin und wieder hatten wir telefoniert, aber irgendwie fehlten mir am Telefon immer die Worte und Tim war kein besonders begeisterter SMS-Schreiber. Ungeduldig wartete ich darauf, dass der Schnee tauen und das Wetter wieder milder werden würde, damit wir das Training mit Fritzi endlich fortsetzen konnten.
Ich klappte das Matheheft zu und zog die Schreibtischschublade auf. Gestern waren die Unterlagen von der Deutschen Reiterlichen Vereinigung gekommen. Mit Opas Hilfe hatte ich Fritzi als Turnierpferd eintragen lassen und die Aufkleber bestellt, die ich brauchte, um ihn auf Turnieren melden zu können. Nach langer Beratung mit Melike hatte ich beschlossen, Fritzi als »Fritz Power« eintragen zu lassen.
»Fritz Power«, murmelte ich und betrachtete das Scheckheft mit den Aufklebern. Nun konnte es richtig losgehen! Unten ging die Haustür auf. Eilig schob ich Aufkleber und Pferdepass wieder in die Schublade.
»Wieso sagst du mir das ausgerechnet jetzt?«, hörte ich Papas Stimme von unten. Er klang gereizt.
Ich stand auf und schlich auf Zehenspitzen zur Tür. Seit Silvester war es mit der trügerischen Harmonie vorbei. Papas Laune war so frostig wie das Wetter, und jedes Gespräch zwischen Mama und ihm endete mit einem Streit.
»Wann soll ich es dir denn sonst sagen?«, sagte Mama gerade. »Letzte Woche bist du nach Verden gefahren. Vor einem Turnier willst du mit nichts belastet werden, aber danach willst du auch nichts hören. Immer lässt du mich mit dem ganzen Ärger allein und rennst weg. Es geht dich genauso viel an, schließlich geht es um unsere gemeinsame Zukunft.«
Ich setzte mich auf den Boden und lehnte den Kopf gegen den Türrahmen.
Papa und Mama waren wirklich nur noch am Streiten, mittlerweile machten sie sich nicht mal mehr die Mühe, die Tür hinter sich zuzumachen. Das hatte es früher nicht
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