Elena - Ein Leben für Pferde
einschlage, dann haben Sie das Vorkaufsrecht?«, vergewisserte ich mich.
»Du bist ein cleveres Mädchen.« Herr Nötzli lächelte amüsiert. »Ja, das meine ich ungefähr so.«
»Einverstanden«, sagte ich nach kurzem Überlegen. »Aber glauben Sie nicht, dass Sie ihn billig schnappen können, nur weil ich ein Mädchen bin. Und ich nehme auch kein Pferd in Zahlung.«
»Du sollst ihn nicht an mich verschenken«, erwiderte er ernst, nur seine Augen blitzten belustigt. »Ich weiß, was ein Qualitätspferd wert ist und werde dir zu gegebener Zeit ein faires Angebot machen. Natürlich nur, wenn du ihn überhaupt verkaufen willst.«
Das klang alles vernünftig. Ich schlug ein. Ich hatte ein Berittpferd! Und in meinem Rucksack lagen siebentausend Euro! Papa würde Augen machen …
32. Kapitel
Am Sonntagmittag fuhr ich mit Opa nach Heidelberg aufs Turnier, um den Großen Preis live anzuschauen. Im Fernsehen hatte ich am Freitag und Samstagabend gesehen, wie Papa mit Lagunas die beiden schwersten Springen gegen Konkurrenz aus dem In- und Ausland gewonnen hatte. Auch in den anderen Prüfungen hatten er, Jens und Christian gute Ergebnisse gehabt.
Von Tim wusste ich, dass er mit Flipper und seinem zweitbesten Pferd, Tanot de Chardin, beide Junioren-S für sich entschieden hatte. Damit hatte er insgesamt elf S-Springen gewonnen und würde das Goldene Reiterabzeichen verliehen bekommen. Christian kochte deswegen sicherlich vor Zorn!
Ich lief zuerst ins Stallzelt, um nach den Pferden zu gucken. Vor Lagunas Box traf ich Papa im Gespräch mit einem älteren weißhaarigen Mann, den ich noch nie gesehen hatte. Sie gaben sich die Hand, der Mann klopfte Papa auf die Schulter und ging weg.
»Hallo, Papa«, sagte ich.
Er drehte sich zu mir um. »Hallo, Elena.«
Er sah irgendwie nicht aus wie jemand, der die beiden schwersten Springen des Turniers gewonnen hatte.
»Ist was passiert?«, fragte ich deshalb besorgt.
Mit Mama war alles in Ordnung, das wusste ich, denn ich hatte erst heute Morgen mit ihr telefoniert. Also musste es etwas anderes sein.
»Eigentlich sollte ich mich freuen, denn ich kann jetzt wohl einen großen Teil unserer Schulden abzahlen«, sagte Papa und in seinen Augen blitzte es verdächtig. »Ich habe nämlich gerade Lagunas verkauft. An den Sponsor von Viktor Waluschenko.«
»Was?« Ich war sprachlos. Lagunas war Papas allerbestes Pferd. Mit ihm hatte er – die beiden Siege von gestern und vorgestern eingerechnet – ungefähr fünfzig S-Springen gewonnen.
»Ich wäre dumm gewesen, hätte ich sein Angebot abgelehnt. Lagunas wird nicht jünger, und wenn er sich morgen ein Bein brechen würde, wäre er nichts mehr wert.«
Lagunas schien zu wissen, dass über ihn gesprochen wurde. Er kam an das Quergitter der Box, legte den Kopf schief und knabberte an Papas Jacke. Papa streichelte gedankenverloren seine Nase.
»Ja, mein Junge«, sagte er leise zu dem braunen Wallach. »Sieht so aus, als ob du den Amselhof für uns rettest.«
Seine Stimme klang ganz eigenartig, und plötzlich verstand ich, wie weh es ihm tun musste, sein bestes Pferd hergeben zu müssen, nur weil er dringend Geld brauchte. Aus einem anderen Grund hätte er sich nie und nimmer von dem einzigen Pferd getrennt, an dem er wirklich hing. Es wäre dasselbe gewesen, hätte ich mich von Fritzi trennen müssen. Papa hatte Lagunas als Fohlen gekauft, ihn ausgebildet und zu einem der besten Springpferde Deutschlands gemacht.
Ich ergriff Papas Hand und er legte den Arm um meine Schulter. Eine Weile standen wir schweigend da und betrachteten Lagunas, der das Heu in seinem Heunetz interessanter fand als uns. Die Vorstellung, dass er bald nicht mehr in seiner Box, sondern in irgendeinem Stall in der Ukraine stehen und ich ihn nie wiedersehen würde, machte mich traurig.
Christian tauchte im Stallzelt auf, er hatte eine Starterliste dabei.
»Du bist letzter Starter«, sagte er und blickte von Papa zu mir.
»Geh bitte auf die Meldestelle und tausch Lagunas gegen Calvador.« Papa drehte sich nicht um.
»Wieso denn das?«, fragte Christian.
»Ich habe Lagunas eben verkauft und mit seinem neuen Besitzer ausgemacht, dass ich ihn hier nicht mehr reite«, erwiderte Papa.
Er drückte mich noch einmal, dann ließ er mich los und verließ das Stallzelt.
»Was geht denn jetzt ab?«, regte sich mein Bruder auf. »Wie kann er denn Lagunas verkaufen? Er hat mir doch versprochen, dass ich ihn nächstes Jahr die Junioren-S reiten darf. Das ist ja wohl das
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