Elena - Ein Leben für Pferde
Sattelschrank.
»Oh Gott, Tim, das … das wollte ich nicht«, flüsterte ich schockiert und kämpfte mit den Tränen. Tim tat mir schrecklich leid mit so einem fürchterlichen Vater.
»Liegt nicht an dir«, erwiderte Tim und wandte mir den Rücken zu. »Mach dir keine Sorgen deswegen. Mein Alter findet immer einen Grund, um mir eine zu kleben.«
Endlich drehte er sich zu mir um. Seine linke Wange war knallrot.
»Eines Tages«, sagte er bitter, »eines Tages kriegt er alles zurück. Doppelt und dreifach! Das schwöre ich dir.«
33. Kapitel
Christian und Jens fuhren gleich nach dem Stechen des Großen Preises nach Hause, aber ich beschloss, auf Papa zu warten. Er hatte mit Calvador noch einen guten dritten Platz erreicht und war anschließend als erfolgreichster Reiter des Turniers mit einem Sonderpreis geehrt worden: ein Gutschein für eine Flugreise nach Irland für zwei Personen.
Während er noch zur Meldestelle ging, um dort abzurechnen, setzte ich mich auf die Stufen der Tribüne, die nun menschenleer war. Die Zuschauer strömten aus der Halle zu den Parkplätzen; statt Pferden und Reitern hatten Scharen von Helfern die Regie übernommen, bauten die VIP-Logen, die Verkaufsstände und Scheinwerfer ab, rollten Kabel auf und luden mit großem Gepolter die Hindernisse und den Blumenschmuck auf Anhänger. Durch die weit geöffneten Tore drang kalte Luft in die Halle. Es roch nach Diesel und Abgasen und von der feierlichen Stimmung, die noch vor einer halben Stunde geherrscht hatte, war nichts mehr zu spüren.
Ich hatte mich über Papas gute Platzierung nicht richtig freuen können, ja ich hatte kaum etwas vom Springen mitbekommen, denn ich musste dauernd an Tim denken. Hoffentlich bekam er zu Hause nicht wieder Prügel von seinem grässlichen Vater! Ich überlegte, ob ich ihm eine SMS schreiben sollte, aber das traute ich mich nicht. Wenn doch nur Melike da gewesen wäre! Morgen würde sie endlich von der Klassenfahrt zurückkommen und ich konnte kaum erwarten, ihr alles zu erzählen.
Papa kam aus der Tür der Meldestelle. Er sprach noch kurz mit zwei anderen Reitern, lächelte und sah von Weitem ganz normal aus. Aber als er dann näher kam, erkannte ich, wie unglücklich er war.
»Papa!« Ich sprang auf und lief zu ihm.
»Elena«, sagte er erstaunt. »Ich dachte, du wärst mit Jens und Christian gefahren.«
»Nein, ich hab auf dich gewartet.« Ich ging neben ihm her Richtung Ausgang. »Damit du nicht allein nach Hause fahren musst.«
»Das ist lieb von dir.« Er legte einen Arm um meine Schulter und seine Stimme klang ein bisschen so, als hätte er einen Frosch im Hals.
Draußen war es schon stockdunkel. Die Außenscheinwerfer waren abgeschaltet worden und auf dem Lkw-Parkplatz standen nur noch vereinzelt drei oder vier Lkws. Christian und Jens hatten schon Lagunas, Calvador und Cotopaxi verladen, für die auf dem kleinen Lkw kein Platz mehr gewesen war. Papa warf noch rasch einen Blick hinein, um zu kontrollieren, ob alles in Ordnung war, dann klappten wir zusammen die Verladerampe hoch und kletterten ins Fahrerhaus. Ich durfte auf den Beifahrersitz.
»Hast du Mama schon erzählt, dass du Lagunas verkauft hast?«, fragte ich, als wir die schmale asphaltierte Straße, die zur Hauptstraße führte, entlangfuhren. Die Pferde, die nach drei Tagen auf dem Turnier müde waren, standen mucksmäuschenstill und rührten sich nicht.
»Nein, noch nicht«, erwiderte Papa und blickte starr auf die Straße. Im Licht der Scheinwerfer eines entgegenkommenden Autos sah ich, wie traurig er aussah. Vielleicht war es besser, nicht mehr über dieses Thema zu sprechen.
Wenig später hatten wir die Autobahn erreicht. Ich überlegte, wie ich ihn von seinen trüben Gedanken ablenken konnte, und beschloss, ihm von Fritzi zu erzählen.
»Du, Papa«, begann ich. »Am Freitag war Herr Nötzli bei uns auf dem Hof.«
»Ach ja?«
Komisch – wusste er gar nichts davon? Ich hatte angenommen, Herr Nötzli hätte ihm von unserer Abmachung erzählt.
»Ja. Ich war gerade am Reiten, als er in die Halle kam«, erzählte ich weiter. »Und er war ganz schön beeindruckt.«
»Wieso beeindruckt?«
»Du hattest doch den Parcours stehen lassen. Und da bin ich ein bisschen gesprungen. Mit Fritzi.«
Jetzt endlich wandte Papa seinen Blick kurz von der Straße und schaute mich an. »Du bist mit Fritzi gesprungen?«
»Ja. Erst nur einen kleinen Parcours, aber Herr Nötzli ist in die Bahn gekommen und hat die Hindernisse hoch gemacht.
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