Elena - Ein Leben für Pferde
ist.«
Papa hörte auf zu lächeln. Er drückte meine Wade so fest, dass es wehtat.
»Du hast wirklich geglaubt, ich würde dein Pferd verkaufen, nur weil ich Geld brauche?«, fragte er mit gepresster Stimme.
Ich nickte verlegen.
Papa nahm seine Hand weg und atmete tief aus.
»Eigentlich sollte ich jetzt eingeschnappt sein«, sagte er deprimiert. »Aber ich bin wohl selbst schuld dran, dass du so schlecht von mir denkst.«
Verdammt, jetzt hatte ich alles kaputtgemacht! Ich hatte Papa mit meinen Worten gekränkt, weil ich mal wieder losgequatscht hatte, ohne vorher nachzudenken. Wie konnte ich ihm nur erklären, dass jetzt alles anders war?
Spätestens seit gestern, seitdem er mir im Stallzelt von Lagunas’ Verkauf erzählt hatte, sah ich meinen Vater mit ganz anderen Augen. Oft hatte ich ihn für herzlos und gemein gehalten, wenn ich seine Entscheidungen nicht verstand, so wie beim Vereinsturnier, als er Phönix an Teicherts verkauft hatte, ohne mir vorher etwas zu sagen. Oder als er so sauer auf mich gewesen war, weil ich mit Tim gesprochen hatte. Jetzt verstand ich alles, weil ich die Vorgeschichte kannte. Und ich hatte seinen Kummer gespürt, seine Trauer um sein liebstes und bestes Pferd, das er hergeben musste, weil er das Geld so dringend brauchte und dieses Angebot nicht ablehnen konnte.
Die ganze Nacht hatte er bei Lagunas im Stall gesessen, er hatte nicht geschlafen, weil er unglücklich war. Weil er ein Herz hatte. Das hatte mich tief berührt. Nun stand er da, versuchte zu lächeln, aber in seinen Augen sah ich, wie sehr ich ihn verletzt hatte.
Ich sprang aus dem Sattel und ergriff Papas Arm.
»Es tut mir leid, dass ich das von dir gedacht habe, Papa«, sagte ich.
»Das muss es nicht«, antwortete er und schnappte schnell nach Fritzis Zügel, bevor der sich aus dem Staub machen konnte. »Vielleicht habe ich genau das gebraucht. Ich habe mich viel zu wenig um dich gekümmert. Das war nicht fair von mir. Heute Nacht habe ich viel nachgedacht. Was du für mich getan hast, war großartig, Elena. Du bist ein ganz tolles Mädchen. Genau wie deine Mutter.«
Ich wurde bei seinen Worten ganz rot vor Stolz. Ein tolles Mädchen! Wow!
Papa und ich frühstückten noch zusammen, dabei erzählte er mir von früher. Von Lajos und Richard Jungblut, von Mamas Schwester Viola, von Tims Mutter Linda, von Mama und sich selbst. Dann schrieb er mir eine Entschuldigung für die ersten vier Stunden und fuhr mich nach Königshofen zur Schule.
»Ich bringe Lagunas jetzt in die Klinik von Dr. Sänger nach Köln«, sagte er, als er vor der Schule anhielt. »Wenn mit der Ankaufsuntersuchung alles klargeht, nimmt Viktor ihn gleich von dort aus mit. Und ich habe mir überlegt, dass dein Vorschlag eigentlich ganz gut ist.«
»Welcher Vorschlag?«
»Ich fahre von dort aus bei Opa und Oma König in Bonn vorbei. Vielleicht kann ich Mama überreden, mit nach Hause zu kommen.«
»Oh Papa, das wäre super!«, jubelte ich und fiel ihm um den Hals.
»Na ja, mal schauen.« Er grinste mir zu, dann schien ihm noch etwas einzufallen. »Ach, Elena, ich soll dir von Lajos etwas ausrichten. Ich verstehe es zwar nicht, aber das ist mir ja in der letzten Zeit öfter so ergangen.«
»Was denn?«, fragte ich neugierig.
»Er sagt, du hättest recht gehabt bei der Stute«, sagte Papa. »Sie hatte einen Tumor an der Ohrspeicheldrüse und ist gestern operiert worden.«
»Ach was!« Erst jetzt fiel mir wieder Blue Fire Lady ein, die Fuchsstute in Lajos’ Stall. Durch die ganze Aufregung hatte ich sie völlig vergessen.
»Das erklärst du mir sicher auch noch, oder?« Papa zwinkerte mir zu. »Und jetzt sieh zu, dass du in die Schule kommst, sonst muss ich dir eine neue Entschuldigung schreiben.«
Ich grinste, stieg aus und winkte seinem Auto nach. Der Gong, der das Ende der vierten Stunde verkündete, klang über den Schulhof zu mir herüber, und ich rannte los. Ich musste unbedingt Melike finden! Die Pause würde allerdings kaum ausreichen, um ihr alles zu erzählen.
In dem Moment summte mein Handy in der Jackentasche. Ich zog es hervor und klappte es auf. Eine neue Nachricht! Und sie war von Tim!
Heute Nachmittag um drei auf der Wiese? , schrieb er. Hast du Zeit? Muss dir was sagen!
Mein Herz schlug einen Salto.
Klar , tippte ich ein.
Muss dir auch jede Menge erzählen!
37. Kapitel
Melike konnte nicht mit zum Training kommen, weil sie am Nachmittag noch Klavierstunde hatte, und ich war deswegen nicht einmal unglücklich.
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