Elena - Ein Leben für Pferde
sein Zimmer. Gab er etwa mir die Schuld an dem, was gestern passiert war? Egal.
Ich wusch mich schnell, bürstete meine Haare und machte mir einen Pferdeschwanz, dann zog ich mich schnell an und lief nach unten. In der Küche brannte Licht, aber der Tisch war nicht gedeckt. Stimmt, Mama war ja nicht da!
Bevor ich zur Bushaltestelle fuhr, wollte ich noch schnell bei Lagunas vorbeischauen und mich von ihm verabschieden, deshalb verzichtete ich auf ein Frühstück, ergriff meinen Rucksack und zog meine Jacke an. Twix zischte an mir vorbei. Ich nahm mein Fahrrad und radelte durch die Dunkelheit hinüber zum Stall, der schon hell erleuchtet war. Heinrich und Stani fütterten gerade Heu im langen Stall. Ich lehnte das Fahrrad in der Putzhalle gegen die Wand und lief in den hinteren Stall, der als einziger noch im Dunkeln lag.
»Lagunas!«, rief ich leise und drückte auf den Lichtschalter. Die Neonröhren an der Decke flackerten und gingen an. Ich trat an Lagunas’ Box. Ihm schien es wieder gut zu gehen. Er hatte heute Nacht gelegen, sein Schweif war nämlich voller Stroh.
»Guten Morgen«, sagte jemand hinter mir. Ich fuhr erschrocken herum.
Papa saß auf einem Strohballen gegenüber von Lagunas’ Box und blinzelte in das helle Licht. Scheinbar war er überhaupt nicht ins Bett gegangen, denn er war nicht rasiert und trug noch immer die weiße Reithose vom Turnier.
»Ich … ich wollte Lagunas Tschüss sagen«, stotterte ich.
»Komm mal her.« Papa streckte die Hand nach mir aus.
Ich ging zu ihm hin. Er rückte ein Stück zur Seite und ich setzte mich neben ihn.
»Danke, Elena«, sagte er leise und legte den Arm um mich. »Dir habe ich es zu verdanken, dass ich Lagunas heute verkaufen kann. Wenn du Lajos nicht geholt hättest, wäre die ganze Sache wohl schlimm ausgegangen.«
Ich schluckte.
»Er hat mir gestern Abend alles erzählt. Woher ihr euch kennt.« Papa zog mich fester an sich. »Aber darüber, dass du immer heimlich in den Wald geritten bist, reden wir noch.«
Ich blickte ihn vorsichtig an und war erleichtert, als ich sah, dass er lächelte. Puh!
»Ich habe heute Nacht übrigens deinen Fritzi mit nach Hause gebracht«, sagte er.
»Ach! Wie denn das?«
»Na ja. Ich bin mit Lajos zum Forsthaus gefahren und dann zurückgeritten. Du hattest dir ja glücklicherweise die Zeit genommen, dein Pferd zu satteln.«
Eine Weile saßen wir schweigend nebeneinander. Dann fiel mir plötzlich etwas ein. Ich beugte mich vor, öffnete meinen Rucksack und nahm das Geld heraus.
»Hier. Das hätte ich fast vergessen.« Ich reichte Papa die vierzehn 500-Euro-Scheine.
Mit einem Schlag verschwand das Lächeln von seinem Gesicht. Er richtete sich auf. »Woher hast du das?«
»Vom Teichert«, erwiderte ich. »Ich war am Freitag bei ihm im Büro. Mama und du, ihr habt dauernd wegen des geplatzten Schecks gestritten, und da dachte ich, wenn ich das Geld hole, dann … dann kommt Mama vielleicht zurück. Er hat …«
Ich verstummte, als ich Papas Gesichtsausdruck sah. Er war ganz blass geworden und in seinen Augen standen plötzlich Tränen. Es war schon schlimm gewesen, Mama weinen zu sehen, aber ich wusste, dass ich es nicht ertragen konnte, wenn Papa jetzt auch noch heulte.
»War … war das falsch?«, fragte ich unsicher.
Statt zu antworten nahm Papa mich in die Arme und drückte mich so fest, dass mir die Luft wegblieb.
»Ach Elena, Elena«, flüsterte er. »Ich weiß echt nicht, was ich sagen soll. Lajos hat recht. Du hast wirklich Mumm.«
Ich schnappte nach Luft und Papa ließ mich los.
»Meinst du, dass Mama wiederkommt, jetzt, wo doch das Geld vom Teichert da ist?«
Papa seufzte und rieb sich mit Daumen und Zeigefinger die Augen. »Ich weiß nicht. Zu ihr war ich ja auch alles andere als nett.«
»Aber wenn du Lagunas heute weggebracht hast, dann kannst du doch zu Mama hinfahren und sagen, dass es dir leidtut, oder nicht?« Ich sah meinen Vater erwartungsvoll an.
»Du würdest das ganz sicher machen, nach allem, was ich in den letzten paar Stunden über dich erfahren habe.« Papa lächelte bekümmert und strich mir mit der Hand über die Wange. »Wenn es nur so einfach wäre.«
»Es ist einfach«, erwiderte ich überzeugt. »Ich habe neulich auch ganz schlimme Sachen zu Lajos gesagt, aber gestern im Auto habe ich mich entschuldigt und er war mir überhaupt nicht böse.«
»Was für schlimme Sachen hast du denn zu ihm gesagt?«
Ich biss mir auf die Lippen. Jetzt hatte ich wieder viel mehr verraten, als
Weitere Kostenlose Bücher