Elena – Ein Leben fuer Pferde
und wieder longieren oder einfach mal laufen lassen zu können.«
In dem kleinen Stall, der an das Forsthaus angebaut war, gab es vier Boxen, die meistens belegt waren. Lajos war nicht nur Tierarzt und Pferdechiropraktiker, er hatte außerdem eine ungewöhnliche Begabung, denn er konnte mit seinen Händen erspüren, wo ein Pferd Schmerzen hatte. Viele Pferdebesitzer schickten ihre kranken Pferde zu Lajos, wenn andere Tierärzte mit ihrem Latein am Ende waren und keinen anderen Rat mehr wussten als den, das Pferd einzuschläfern.
»Wohin willst du denn den Auslauf bauen?«, fragte Melike.
Lajos wies mit einem Kopfnicken in Richtung Waldrand.
»Ich habe den ehemaligen Gemüsegarten gerodet. Es reicht gerade für einen Longierzirkel, aber das ist besser als nichts.«
»Okay.« Melike war unternehmungslustig. »Was sollen wir machen?«
Meine Freundin vergötterte Lajos und hätte wahrscheinlich mit bloßen Händen Bäume ausgerissen, wenn er sie darum gebeten hätte. Es war noch nicht lange her, da hatten Melike und ich ihn für einen Pferdedieb gehalten, der gestohlene Pferde in dem kleinen Stall mitten im Wald versteckte. Damals hatte Lajos noch anders ausgesehen als heute: Wegen seiner schulterlangen dunklen Haarmähne und des wilden Rauschebarts hatten wir ihn den »Waldschrat« getauft und heimlich bei der Polizei angerufen. In Wirklichkeit war alles völlig anders, und gelegentlich schämte ich mich heute noch, wenn ich daran dachte, was ich zu ihm gesagt hatte. Lajos war vor vielen Jahren der beste Freund meines Vaters gewesen, und zusammen mit meiner Mutter, ihrer Schwester Viola, Richard Jungblut und Linda Gottschalk, Tims Mutter, hatten sie viele Jahre gemeinsam auf dem Amselhof geritten und Spaß gehabt. Bis zu dem verhängnisvollen Autounfall. Danach war nichts mehr so gewesen wie vorher und die Freundschaft zwischen Richard, Lajos und Papa war zerbrochen.
Doch davon wusste ich lange nichts. Genauso wenig wie von Lajos Qualitäten als Einrenker. Als ich damals im alten Forsthaus von Friedrich Gottschalk beobachtet hatte, wie Lajos ihn scheinbar überwältigte, hatte ich angenommen, er wollte diesen umbringen. Ich hatte ihm mit der Polizei gedroht, war aber beim Weglaufen dummerweise gestolpert und hatte mir den Fuß verstaucht. Damals hatte ich geglaubt, mein letztes Stündlein hätte geschlagen, doch dann hatte sich der Waldschrat als ziemlich nett entpuppt, und Friedrich Gottschalk hatte sich über meine Mordtheorien halb totgelacht. In Wahrheit hatte Lajos ihn eingerenkt. Das alles war ziemlich peinlich gewesen, aber Lajos hatte es mir nicht übel genommen. Ganz im Gegenteil. Bei unseren heimlichen Besuchen bei ihm hatte er erkannt, dass auch ich die Gabe besaß, mit meinen Händen die Erkrankung eines Pferdes erfühlen zu können.
»Ich habe schon Löcher für die Zaunpfähle gegraben und Zement angemischt«, sagte Lajos gerade. »Wenn ihr die Pfähle festhaltet, kann ich den Zement in die Löcher gießen.«
Melike nickte begeistert und griff nach dem ersten Pfahl. Ich hatte keine große Lust, aber vielleicht war diese Arbeit als Ablenkung ganz gut, um meiner Verwirrung und dem wilden Gefühlschaos in meinem Innern Herr zu werden.
»Was ist los mit dir, Elena? Ist etwas passiert?« Lajos blickte mich aus seinen dunklen Augen prüfend an. »Du siehst so gedrückt aus.«
»Nee, es ist nichts«, murmelte ich. »Alles okay.«
Aber Lajos ließ sich nicht täuschen.
»Wisst ihr was, Mädels«, sagte er, »ich schufte schon den ganzen Tag. Ich brauche jetzt erst mal einen Kaffee und etwas zu beißen. Kommt.«
Wir folgten ihm ins Haus, wo er uns dicke Scheiben seines köstlichen selbst gebackenen Brotes abschnitt, mit Salzbutter bestrich und dünne Scheiben Schinken darauflegte. Dazu schenkte er uns Kaffee ein. Wir saßen um den Tisch in der gemütlichen kleinen Küche. Melike mampfte mit Genuss, aber ich hatte keinen rechten Appetit. Mein Magen war wie zugeschnürt, trotz des verführerischen Dufts.
Twix sprang dreist auf Lajos’ Schoß und rollte sich dort mit einem behaglichen Knurren zusammen.
»So«, sagte Lajos, während er mit einer Hand Twix’ Nackenfell zauste. »Und jetzt mal raus mit der Sprache, Elena. Welche Laus ist dir über die Leber gelaufen?«
Ich legte das nicht angebissene Brot zurück auf den Teller und seufzte.
»Es ist wegen Tim«, rückte ich heraus. Ich vertraute Lajos und wusste, dass er kein Sterbenswörtchen an meine Eltern verraten würde. Das hatte er auch in der
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