Elenium-Triologie
Ihr nicht sehen können, wenn die Wachen auf dem Wehrgang daherkommen.«
»Macht Euch deshalb keine Gedanken.«
»Ihr dürft sie nicht umbringen. Ich mache mit meiner Dachkammer ein nettes kleines Nebengeschäft. Wenn da oben ein Wächter ins Jenseits befördert wird, ist Schluß damit.«
»Keine Angst. Ich glaube nicht, daß ich heute nacht jemand zu Gott befehlen muß.«
Die Dachkammer war staubig und machte den Eindruck, als würde sie nie benutzt. Der Wirt öffnete lautlos das Giebelfenster und lugte in den Nebel. Sperber flüsterte hinter ihm in Styrisch und sandte den Zauber aus. Er konnte den Kerl da draußen fühlen. »Vorsicht!« mahnte er. »Ein Wächter kommt auf dem Wehrgang herbei.«
»Ich sehe niemand.«
»Ich habe ihn gehört«, entgegnete Sperber. Er hatte nicht die Absicht, eine längere Erklärung abzugeben.
»Ihr müßt scharfe Ohren haben, Freund.«
Die beiden warteten im Dunkeln, während der schläfrige Wächter den Wehrgang entlang schlurfte und im Nebel verschwand.
»Helft mir«, forderte der Wirt Sperber auf. Er bückte sich, um ein Ende eines schweren Brettes auf den Fenstersims zu heben. »Wir schieben es auf die Brustwehr, dann steigt Ihr hinüber. Wenn Ihr drüben seid, werf ich Euch dieses Ende des Seils zu, das hier gesichert ist, dann könnt Ihr daran die Außenmauer hinunterrutschen.«
»Gut«, murmelte Sperber. Sie schoben das Brett über den Abgrund, bis es auf der Brustwehr auflag. »Danke, Nachbar«, sagte Sperber. Er setzte sich rittlings auf das Brett und rutschte darauf Zoll um Zoll zum Wehrgang. Dort angelangt, erhob er sich und fing die Seilrolle auf, die aus der nebligen Dunkelheit angeflogen kam. Er warf sie über die Außenmauer und glitt daran hinunter. Augenblicke später war er unten angelangt. Das Seil verschwand alsbald nach oben im Nebel und gleich darauf hörte er, wie das Brett in die Dachkammer zurückgezogen wurde. »Sehr ordentlich«, murmelte Sperber und entfernte sich leise von der Stadtmauer. »Ich muß mir diese Schenke merken.«
Im Nebel fiel es ihm nicht so leicht, sich zu orientieren, aber indem er das hohe Schwarz der Stadtmauer links von sich behielt, konnte er sich einigermaßen zurechtfinden. Er setzte die Füße behutsam auf, denn die Nacht war still, und wenn er einen dürren Zweig knickte, würde es weithin zu hören sein.
Abrupt hielt er an. Sperber konnte sich auf seinen Instinkt verlassen: er wußte, daß er beobachtet wurde. Ganz vorsichtig, um verräterische Geräusche zu vermeiden, zog er sein Schwert. Mit dem Schwert in der einen und dem Speer in der anderen Hand spähte er in den Nebel.
Da sah er es. Es war nur ein gedämpftes Glühen in der Dunkelheit, so schwach, daß kaum jemand es überhaupt bemerkt hätte. Das Glühen kam näher, und bald sah Sperber, daß es einen grünlichen Farbton besaß. Sperber stand völlig regungslos im Dunkel und wartete.
Dort draußen im Nebel befand sich eine Gestalt, zwar nicht richtig zu erkennen, aber zweifellos eine Gestalt. Sie schien schwarz vermummt zu sein, und das schwache Glühen drang unter der Kapuze hervor, dort, wo das Gesicht sein müßte. Die Gestalt war sehr groß und unglaublich dünn, fast wie ein Gerippe. Unwillkürlich rann Sperber ein Schauder über den Rükken. Er murmelte einige styrische Worte; dabei bewegten seine Finger sich über den Schwertgriff und den Speerschaft. Dann hob er den Speer und gab den Zauber durch dessen Spitze frei.
Es war ein verhältnismäßig simpler Zauber, der lediglich dazu diente, ihn diese ausgemergelte Gestalt im Nebel erkennen zu lassen. Sperber keuchte beinahe, als er die Wellen des Bösen spürte, die von der schattenhaften Gestalt ausgingen. Was immer sie auch war – menschlich ganz gewiß nicht.
Nach einem Augenblick klang ein gespenstisch metallisches Lachen aus der Nacht. Die Gestalt drehte sich um und ging davon. Ihre Bewegungen waren ruckartig, als säßen die Knie verkehrt herum an den Beinen. Sperber blieb stehen, bis die Ausstrahlung des Bösen schwand. Was immer dieses – Wesen auch war, jetzt war es fort.
»Ich frage mich, ob das wieder so eine kleine Überraschung von Martel war«, murmelte Sperber. Martel war ein abtrünniger pandionischer Ritter, den man aus dem Orden ausgestoßen hatte. Er und Sperber waren früher einmal Freunde gewesen, doch das war lange her. Martel arbeitete jetzt für den Primas Annias. Er hatte das Gift besorgt, mit dem es Annias beinahe gelungen wäre, die Königin zu töten.
Sperber setzte
Weitere Kostenlose Bücher