Elenium-Triologie
eine Gruppe betrunkener junger Edler aus der Tür einer verrufenen Schenke torkelte und grölend und lärmend den Platz überquerte. Sperber wartete ruhig, bis sie in einer Nebenstraße verschwunden waren; dann blickte er sich um, mehr wachsam denn mißtrauisch.
Hätten sich mehr Leute auf dem fast leeren Platz aufgehalten, wäre Krager möglicherweise sogar Sperbers scharfen Augen entgangen. Der Mann war mittelgroß und ungepflegt; sein nasses, fast farbloses Haar klebte am schmalen Schädel, den weinroten Umhang hatte er schlampig am Hals zugezogen, und seine Stiefel waren schmutzig. Er schlurfte über den Platz, und seine wäßrigen Augen blinzelten kurzsichtig durch den Regen.
Sperber sog scharf den Atem ein. Er hatte Krager seit jener Nacht in Cippria, vor fast zehn Jahren, nicht mehr wiedergesehen. Der Mann war stark gealtert, sein Gesicht war noch grauer, die Tränensäcke und Hängebacken waren noch schlaffer geworden, doch es war ohne Zweifel Krager.
Da eine rasche Bewegung Aufmerksamkeit erregt hätte, saß Sperber langsam ab und führte sein großes Pferd zum grünen Stand eines Lebensmittelhändlers, wobei er darauf achtete, das Tier zwischen sich und dem Kurzsichtigen im weinroten Mantel zu halten.
»Guten Abend, werter Herr«, sagte er mit bedrohlich ruhiger Stimme zu dem braungewandeten Krämer. »Ich muß etwas erledigen. Paßt auf mein Pferd auf, ich bezahle Euch dafür.«
Die Augen des bartstoppeligen Krämers leuchteten auf.
»Denkt nicht einmal daran!« warnte Sperber. »Das Pferd würde Euch nicht folgen, egal, was Ihr versucht – ich dagegen schon, und das würde Euch ganz sicher nicht gefallen. Begnügt Euch mit dem Geld und verschwendet keinen Gedanken mehr daran, das Pferd zu stehlen!«
Der Händler starrte ins düstere Gesicht des großen Mannes, schluckte schwer und verbeugte sich zittrig. »Euer Wunsch ist mir Befehl, Herr«, beeilte er sich hastig zu versichern. »Ich schwöre Euch, daß Euer edles Roß bei mir sicher ist.«
»Edles was ?«
»Edles Roß – Euer Pferd.«
»Oh! Wie freundlich von Euch.«
»Kann ich sonst noch etwas für Euch tun, Herr?«
Sperber blickte über den Platz auf Kragers Rücken. »Habt Ihr vielleicht ein Stück Draht, ungefähr so lang …« Er maß etwa drei Fuß mit den ausgebreiteten Armen ab.
»Wäre möglich, Herr. Die Heringsfässer sind mit Draht zusammengebunden. Laßt mich nachsehen.«
Sperber verschränkte die Arme, lehnte sich an den Sattel des Braunen und beobachtete Krager über den Pferderücken hinweg. Die Bilder der vergangenen Jahre, Bilder von sengender Sonne und Frauen, die im ersten Morgenlicht zum Brunnen gingen, schwanden, und er sah sich plötzlich im Viehhof von Cippria wieder, roch den Gestank von Mist und Blut an sich, kostete den Geschmack von Furcht und Haß im Mund und spürte die Schmerzen, die ihn schwächten, als seine Verfolger mit gezückten Schwertern nach ihm suchten.
Er verdrängte die Bilder der Vergangenheit und konzentrierte sich auf die Gegenwart. Er hoffte sehr, daß der Krämer ein Stück Draht finden würde. Für das, was er vorhatte, war Draht gut geeignet. Lautlos und sauber, und mit ein bißchen Geschick konnte er es wie das Werk eines Styrikers oder Pelosiers aussehen lassen. Es ist nicht so sehr Krager selbst, dachte er, während die Erregung in ihm wuchs. Krager war für Martel nie viel mehr als ein unbedeutendes Werkzeug gewesen, genau wie Adus nie mehr als eine Waffe in seiner Hand gewesen war. Es zählte nur, was Kragers Tod für Martel bedeuten würde.
»Das ist das Beste, was ich finden konnte, mein Herr.« Der Krämer kehrte aus der hinteren Abtrennung seiner Zelttuchbude zurück und streckte ihm ein Stück rostigen, biegsamen Draht entgegen. »Tut mir leid, aber ein längeres Stück habe ich nicht.«
»Ist schon gut.« Sperber nahm den Draht und spannte ihn zwischen den Händen. »Das ist genau das richtige.« Dann drehte er sich zu seinem Pferd um. »Bleib du hier, Faran.«
Der Fuchs entblößte als Antwort die Zähne. Sperber lachte leise und machte sich daran, in einigem Abstand hinter Krager den Platz zu überqueren. Wenn der Kurzsichtige irgendwo in einem dunklen Hauseingang gefunden würde, wie ein Bogen nach hinten gespannt, den Draht um Hals und Fußgelenke geschlungen und die Augen aus einem blauen Gesicht hervorquellend oder mit dem Gesicht im Becken eines öffentlichen Bedürfnishauses – ja, das würde Martel erschüttern, ihn schmerzen, ihm vielleicht sogar Angst einjagen.
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