Elenium-Triologie
riß den Blick von dieser Fratze. Sie zu lange zu betrachten, mochte die Seele kosten.
Der Körper war nicht ausgeformt. Man konnte den Eindruck gewinnen, den Bildhauer hätten das Gesicht und alles, was es ausdrückte, so überwältigt, daß er den Rest der Figur nur noch grob darzustellen vermochte. Da gab es, wie bei einer Spinne, eine größere Zahl von Gliedmaßen, die aus breiten Schultern wuchsen. Der Oberkörper war leicht zurückgelehnt, die Hüften obszön nach vorn geschoben, doch das, was der Blickpunkt dieser eindeutigen Pose hätte sein sollen, fehlte. Statt dessen befand sich an seiner Stelle eine glatte, faltenlose Oberfläche, die glänzte und ein wenig wie eine Brandnarbe aussah. Sperber erinnerte sich an die Worte, die Sephrenia dem Gott – während der Auseinandersetzung mit dem Sucher am Nordende des Vennesees – entgegengeschleudert hatte. Entmannt, hatte sie ihn genannt. Sperber vermied es, über die mögliche Art und Weise nachzugrübeln, derer sich die Jüngeren Götter bedient haben mußten, um ihren älteren Verwandten zu kastrieren. Ein fahlgrüner Schimmer ging von dem Idol aus, ein Glühen ähnlich dem, das vom Gesicht des Suchers ausgegangen war.
Auf dem kreisrunden schwarzen Boden, tief unten im fahlgrünen Schein, der vom Altar hinabfiel, fand eine Zeremonie statt. Sperber scheute ekelerfüllt davor zurück, diese Zeremonie einen religiösen Ritus zu nennen. Die Götzendiener hüpften nackt vor dem Idol herum. Sperber war kein weltfremder Mönch, doch das Ausmaß der Perversionen, die mit diesem Ritual einhergingen, drehte ihm den Magen um. Die Orgie, welcher sich die primitiven elenischen Zemocher in den Bergen mit soviel Begeisterung hingegeben hatten, war im Vergleich mit diesen Abscheulichkeiten, ja arglos gewesen. Diese Teilnehmer versuchten offenbar die Perversitäten nichtmenschlicher Kreaturen nachzuahmen, und ihre stieren Blicke und ruckhaften Bewegungen ließen keinen Zweifel daran, daß sie die Zeremonie fortsetzen würden, bis sie vor Erschöpfung an ihren Ausschweifungen starben. Die unteren Zuschauerreihen waren dicht mit Grüngewandeteten besetzt, die einen stöhnenden, mißtönenden Gesang anstimmten – ein leeres Geleiere, ohne jegliche Empfindung.
Plötzlich lenkte eine flüchtige Bewegung Sperbers Aufmerksamkeit auf sich, und er blickte rasch nach rechts. Eine kleinere Gruppe Personen saß auf der obersten Tribüne gute hundert Meter entfernt unterhalb einer leprösen weißen Statue, die ein alptraumhaftes Etwas darstellt, das aus den Tiefen des Wahnsinns stammen mußte.
Eine dieser Personen hatte weißes Haar.
Sperber drehte sich und winkte Ulath, ihn wieder hinaufzuziehen.
»Und?« fragte Kalten.
»Es ist ein einziger großer Raum«, flüsterte Sperber. »Das Idol befindet sich an der hinteren Seite, und breite Tribünen führen hinab zu dem kreisrunden Boden in der Mitte.«
»Was sind das für eigenartige Geräusche?« fragte Tynian.
»Dort unten findet ein Ritual statt. Ich glaube, das Geleiere gehört dazu.«
»Ihre Religion interessiert mich nicht«, brummte Ulath. »Sind Soldaten dort unten?«
Sperber schüttelte den Kopf.
»Sehr gut. Ist das alles?«
»Nein. Ein wenig Magie würde jetzt helfen, Sephrenia. Martel und die anderen sitzen auf der obersten Tribünenreihe, etwa hundert Schritte rechts von der Treppe. Wir müssen erfahren, worüber sie reden. Sind wir nahe genug, daß Euer Zauber wirkt?«
Sie nickte. »Wir müssen uns ein Stück von der Treppe zurückziehen«, meinte sie. »Der Zauber verursacht ein wenig Licht. Sie könnten auf uns aufmerksam werden.«
Sie kehrten ein Stück auf dem staubigen Pfad zurück. Sephrenia ließ sich von Berit Ritter Beviers polierten Schild geben. »So müßte es gehen«, murmelte sie. Sie wirkte den Zauber und gab ihn frei. Die Gefährten, die sich um den plötzlich aufglühenden Schild geschart hatten, sahen nun auf seiner spiegelgleichen Oberfläche leicht verschwommene Gestalten. Ihre Stimmen klangen ein wenig blechern, waren jedoch zu verstehen.
»Eure Versicherung, daß Ihr mit meinem Gold diesen Thron erringen könnt, der Euch die Macht geben würde, uns unseren gemeinsamen Zielen ein gutes Stück näherzubringen, war nur leeres Geschwafel, Annias«, polterte Othas gurgelnde Stimme.
»Daran ist wieder nur Sperber schuld, Majestät«, versuchte Annias sich in beinahe kriecherischem Tonfall zu entschuldigen. »Er mischte sich ein – wie wir befürchteten.«
»Sperber!« Otha stieß eine
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