Elenium-Triologie
dritten Tages, nachdem sie eine Bergkuppe überquert hatten, sahen sie Chyrellos, den Sitz der elenischen Kirche, ausgebreitet unter sich liegen. Die Stadt befand sich in keinem bestimmten Königreich, sondern lag an dem Punkt, wo sich Elenien, Arzium, Cammorien, Lamorkand und Pelosien berührten. Chyrellos war die älteste Stadt in ganz Eosien, und da sie eine Kirchenstadt war, prangte sie mit Türmen und Kuppeln, und wenn zu bestimmten Tageszeiten die Glocken die Gläubigen zum Gebet riefen, flirrte die Luft von ihrem Klang. Doch keine Stadt von dieser Größe konnte auf lange Sicht vollends in den Händen der Kirche bleiben. Der Handel beherrschte die Gesellschaft hier kaum weniger als die Religion, und die Paläste der Kaufherren wetteiferten in Prunk und Größe mit jenen der Patriarchen. Zentrum und Blickfang war jedoch die Basilika, eine gewaltige Kuppelkathedrale aus schimmerndem Marmor, die zum Ruhme Gottes errichtet war. Die Macht, die von ihr ausging, war ungeheuerlich und berührte das Leben aller Elenier von den öden Schneefeldern Nordthalesiens bis zu den rendorischen Wüsten.
Talen, der bisher noch nie aus Cimmura herausgekommen war, riß unwillkürlich Mund und Augen weit auf, als er die riesige Stadt erblickte, die in der Wintersonne glänzte.
»Guter Gott!« hauchte er fast andächtig.
»Ja«, bestätigte Dolmant. »Er ist gut, und dies ist eines seiner prächtigsten Werke.«
Flöte dagegen blieb unbeeindruckt. Sie holte ihre Syrinx hervor und spielte eine spöttische Weise, als täte sie alle Herrlichkeit Chyrellos' als unwichtig ab.
»Wollt Ihr jetzt gleich zur Basilika, Eminenz?« erkundigte sich Sperber.
»Nein. Es war eine anstrengende Reise, und ich brauche einen klaren Kopf, wenn ich der Hierokratie unsere Sache vortrage. Annias hat einflußreiche Freunde im Hohen Rat der Kirche, denen meine Worte nicht gefallen werden.«
»Sie können sie nicht anzweifeln, Eminenz.«
»Vielleicht nicht, aber sie können versuchen, meine Worte zu verdrehen.« Dolmant zupfte nachdenklich an einem Ohrläppchen. »Ich glaube, mein Bericht hätte mehr Gewicht, wenn ich jemanden an meiner Seite hätte, der sie bestätigen kann. Wie gut seid Ihr bei öffentlichen Auftritten, Sperber?«
»Er ist nur richtig gut, wenn er sein Schwert schwingt«, brummte Kalten.
Dolmant lächelte leicht. »Kommt morgen in mein Haus, Sperber. Dann gehen wir die Aussage gemeinsam durch.«
»Ist das legal, Eminenz?« fragte Sperber.
»Ich habe nicht vor, Euch zu bitten, unter Eid zu lügen, Sperber. Ich möchte lediglich vorschlagen, wie Ihr Eure Antworten auf gewisse Fragen formulieren sollt.« Wieder lächelte er. »Ich hätte es nicht gern, daß Ihr mich vor der Hierokratie mit unerwarteten Aussagen überrascht. Ich hasse Überraschungen.«
»Also gut, Eminenz«, erklärte sich Sperber einverstanden.
Sie ritten die Bergstraße hinunter zum Bronzetor der heiligen Stadt. Die Wachen salutierten Dolmant und ließen seine Gruppe passieren, ohne sie aufzuhalten. Durch das Tor gelangte man auf eine breite Prunkstraße. Hohe Häuser erstreckten sich an beiden Seiten. Sie schienen sich in ihrem Eifer, die Aufmerksamkeit von Vorüberkommenden auf sich zu lenken, übertrumpfen zu wollen. Es wimmelte von Passanten. Zwar trugen viele die einfachen Kittel von Arbeitern, die meisten jedoch waren in das strenge Schwarz von Kirchenleuten gekleidet.
»Sind alle hier Priester?« fragte Talen. Der Anblick dieser Stadt überwältigte ihn offensichtlich. Der zynische junge Dieb aus den Hintergassen von Cimmura war endlich auf etwas gestoßen, das sich nicht mit einem Schulterzucken abtun ließ.
»Wohl kaum«, antwortete Kalten. »Aber in Chyrellos glaubt man respekteinflößender zu wirken, wenn man für einen Kirchenmann gehalten wird. Deshalb tragen die meisten Schwarz.«
»Ich persönlich würde ganz gern ein bißchen mehr Farbe auf den Straßen sehen«, gestand Dolmant. »Dieses trostlose Schwarz deprimiert mich.«
»Wie wäre es, wenn Ihr eine neue Kleidung für Priester einführen würdet, Eminenz?« schlug Kalten vor. »Zieht eine rosa Soutane an, wenn Ihr das nächste Mal in die Basilika geht. Oder vielleicht eine smaragdgrüne. Euch würde Grün gut stehen.«
»Die Kuppel würde einstürzen, sollte ich das wagen«, antwortete Dolmant trocken.
Im Gegensatz zu den Palästen der meisten hohen Kirchenherren war das Haus des Patriarchen einfach und zierlos. Es stand ein wenig abseits der Straße und war von einer ordentlich
Weitere Kostenlose Bücher