Elf Arten der Einsamkeit - Short stories
Weihnachtsschmuck dekoriert, bis schließ- lich die letzte Schulwoche vor den Ferien anbrach.
»Macht ihr eine Party in eurer Klasse?« fragte Freddy Taylor eines Tages.
»Klar, wahrscheinlich«, sagte John Gerhardt, obwohl er sich dessen überhaupt nicht sicher war. Abgesehen von der einen vagen Bemerkung viele Wochen zuvor hatte Miss Snell nichts von einer Weihnachtsfeier gesagt oder angedeutet
»Hat Miss Snell gesagt, daß ihr eine macht, oder was?« fragte Grace.
»Also, sie hat es nicht direkt gesagt«, meinte John Ger- hardt etwas obskur. Howard White ging wortlos neben ihm her und stieß die Schuhspitzen in den Boden.
»Mrs. Cleary hat uns auch nichts gesagt«, sagte Grace, »weil es eine Überraschung sein soll, aber wir wissen, daß es eine Party geben wird. Ein paar Kinder, die sie letztes Jahr hatten, haben es uns erzählt. Sie haben gesagt, daß sie am letzten Schultag immer eine große Party macht mit einem Baum und so und kleinen Geschenken und was zum Essen. Macht ihr das auch?«
»Ach, ich weiß nicht«, sagte John Gerhardt. »Klar, wahr- scheinlich.« Aber später, als die Zwillinge fort waren, wurde er ein wenig besorgt. »He, Howard«, sagte er, »glaubst du, daß sie eine Party machen wird oder was?«
»Keine Ahnung«, sagte Howard White und zuckte be- dächtig die Achseln. »Ich hab' nichts gesagt.« Aber auch er war deswegen beunruhigt, und dem Rest der Klasse erging es ebenso. Als die Ferien näherrückten und vor allem während der paar höhepunktslosen Tage, nachdem das Weihnachts spiel über die Bühne war, schien es immer unwahrscheinlicher, daß Miss Snell eine wie auch immer geartete Party plante, und das ließ ihnen keine Ruhe.
Am letzten Schultag regnete es. Der Morgen verging wie jeder andere, und nach dem Mittagessen waren die Flure wie an jedem anderen verregneten Tag voller plap- pernder Kinder, die in Regenmänteln und Gummistiefeln herumschlenderten und darauf warteten, daß der Nach- mittagsunterricht begann. Vor den Räumen der dritten Klassen herrschte eine besondere Spannung, denn Mrs. Cleary hatte die Tür ihres Klassenzimmers abgeschlossen, und bald verbreitete sich die Kunde, daß sie allein im Raum war und eine Party vorbereitete, die mit dem Läu- ten der Glocke beginnen und den ganzen Nachmittag dau- ern würde. »Ich habe heimlich geguckt«, erzählte Grace Taylor atemlos jedem, der es hören wollte. »Sie hat einen kleinen Baum mit blauen Lichtern, und sie hat das Zim- mer geschmückt und die Bänke weggeschoben und so.«
Andere aus ihrer Klasse liefen fragend hinter ihr her – »Was genau hast du gesehen?«, »Nur blaue Lichter?« –, und wieder andere drängelten sich um die Tür und ver- suchten, durch das Schlüsselloch zu spähen.
Die Kinder aus Miss Snells Klasse drückten sich un- sicher an die Flurwände, überwiegend schweigsam, die Hände in den Taschen. Ihre Tür war ebenfalls geschlos- sen, aber niemand wollte überprüfen, ob sie auch abge- sperrt war, aus Angst, sie könnte aufschwingen und den Blick auf eine Miss Snell preisgeben, die ganz vernünftig an ihrem Schreibtisch saß und Hefte korrigierte. Statt des- sen beobachteten sie Mrs. Clearys Tür, und als sie endlich geöffnet wurde, sahen sie zu, wie die anderen Kinder hin- eindrängten. Alle Mädchen riefen im Chor »Ooh!«, als sie darin verschwanden, und auch von dort, wo Miss Snells Klasse stand, war zu sehen, daß das Zimmer verwandelt war. Da stand tatsächlich ein Baum mit blauen Lichtern – der ganze Raum glühte blau –, und die Schulbänke waren an die Wand geschoben. Sie sahen nur die Ecke eines Tischs in der Mitte, darauf Teller mit buntem Kon- fekt und Kuchen. Mrs. Cleary stand auf der Schwelle, schön und strahlend, leicht gerötet vor Aufregung. Sie lächelte den neugierigen Gesichtern von Miss Snells Klasse freundlich und zerstreut zu, dann schloß sie wie- der die Tür.
Kurz darauf öffnete Miss Snell die Tür, und als erstes sahen sie, daß das Klassenzimmer unverändert war. Alle Tische standen an ihrem Platz, bereit für den Unterricht; die vertrauten, selbstgemalten Weihnachtsbilder hingen noch an den Wänden, und es gab keinen weiteren Schmuck als die schmuddligen roten Pappbuchstaben, die »Fröhliche Weihnachten« wünschten und schon die ganze Woche an der Tafel hingen. Aber dann bemerkten sie mit großer Erleichterung, daß auf Miss Snells Schreib- tisch ein kleines ordentliches Häufchen rot-weißer Päck- chen lag. Miss Sneil stand am
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