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Elf Leben

Elf Leben

Titel: Elf Leben
Autoren: Mark Watson
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Garfunkel.«
    »Günstiger im Doppelpack!«, fügt Murray hinzu, der dieses Witzchen auch nicht zum ersten Mal macht.
    Eine halbe Strophe von »Mrs. Robinson« sitzen sie stumm nebeneinander und sehen hinaus auf den Parkplatz. Obwohl draußen immer noch ungemütliche Temperaturen herrschen, ist der meiste Schnee zertrampelt und verschwunden, nur ein paar einzelne Häufchen an schattigen Stellen kämpfen tapfer ums Überleben.
    »Stell dir vor, du schleppst so was fünfzig Jahre mit dir rum«, sagt Xavier.
    »Vielleicht bildet sie sich auch bloß was ein«, erwidert Murray.
    Xavier sieht ihn an und seufzt.
    »Sag mal, ha-ha-hast du schon irgendwelche Mails bekommen? Vom Speed Dating?«, fragt Murray.
    »Mails?«
    »Du weißt schon. Hat sich irgendwer gemeldet? Eins von den … den Mädels?«
    »Ach so. Ich hab noch gar nicht geguckt.« Das stimmt. Xavier hatte den geschmacklosen Abend in Camden schon fast vergessen. Er hat zwar eine E-Mail-Adresse angegeben, unter der sich interessierte Frauen bei ihm melden können, aber eine, bei der er fast nie reinschaut. »Aber ich hab einen Termin mit der Putzfrau gemacht. Und du?«
    Murray versucht, lässig zu wirken, zupft an einer Haarsträhne und zieht eine Augenbraue hoch.
    »Nö. N-noch nichts.«
    »Hast du denn irgendeiner gemailt?«
    »Neun.«
    »Neun von fünfundzwanzig?«
    »Man muss sich alle Türen offen halten«, sagt Murray schulterzuckend. »E-e-es hat sich aber auch noch keine gemeldet.«
    Der letzte Refrain des Simon-and-Garfunkel-Songs beginnt. Danach kommt Werbung. Murray sieht Xavier an und führt eine imaginäre Tasse zum Mund, und als Xavier nickt, geht er hinaus, um den Wasserkocher anzustellen.
    Xavier rutscht schnell rüber auf Murrays Sessel, vor den Computer, und loggt sich in den E-Mail-Account ein. Halb verschüttet zwischen dubiosen Kreditangeboten entdeckt er eine Nachricht. Sie ist von der Australierin, die er bei dem Dating-Abend kennengelernt hat. Sie schreibt, dass sie ihn süß fand; sie fragt sich, ob er Lust hätte, sich mit ihr einen netten Streifen anzusehen.
    Er hat schon öfters schwärmerische Mails von Hörerinnen bekommen, trotzdem gefällt ihm für einen Moment der Gedanke, dass sich jemand um ihn bemüht. Er erinnert sich nur dunkel an sie: Sie war ziemlich klein, mit schwarz gefärbtem Haar, sehr weißen Zähnen und einem kurzen Rock. Ihre Ausdrucksweise alarmiert ihn: Xavier ist etwas misstrauisch gegenüber Leuten, die Filme als Streifen bezeichnen, als wären sie etwas so Leichtes, Flatterndes wie Luftschlangen, wertlos wie Konfetti. Außerdem ist die E-Mail jetzt schon vier Tage alt. Alles in allem weiß er noch nicht, ob er sich bei der Australierin melden wird, aber es ist nett, dass sie fragt.
    Als Xavier die Mail ein zweites Mal liest, kommt Murray zurück; er hält die Tür mit dem Fuß auf und schlängelt sich, in jeder Hand einen Kaffee, unelegant durch den Spalt.
    »Hast du also doch deine Mails gecheckt! W-w … war mir doch klar, dass du nur so cool tust!«
    »Erwischt«, sagt Xavier und ist kurz davor, die E-Mail zu erwähnen, aber irgendetwas an Murrays ewig zerzauster Erscheinung hält ihn davon ab: Man kann sich nur zu gut vorstellen, wie Murray zu Hause sitzt und mit seinem unerschütterlichen Optimismus, von dem er tief im Inneren weiß, dass er unberechtigt ist, seinen Mail-Account öffnet.
    »Na jedenfalls, kein Glück gehabt«, sagt Xavier und schließt schnell sein Postfach. »Nichts dabei.«
    »Du also auch nicht«, sagt Murray. »Was haben wir bloß an uns, du und ich?«
    »Könnte es daran liegen, dass wir wach sind, wenn alle anderen schlafen?«
    Xavier sieht einen einzelnen Wagen vom Parkplatz fahren, vielleicht ist es der Hausmeister, der nach sechs Stunden Rundgang durch die zugigen Flure endlich Feierabend hat.
    »Dabei habe ich gar nicht vielen erzählt, dass ich beim Radio bin. Ich wollte nicht, dass sie ausflippen, w-weil ich bekannt bin.«
    »Vielleicht sind wir auch bloß zwei hässliche Säcke«, fügt Xavier hinzu und bekommt ein schlechtes Gewissen, als er die Dankbarkeit, das Komplizenhafte in Murrays Lachen hört.
    Als Xavier am folgenden Nachmittag aus dem Haus geht, um beim Laden an der Ecke etwas einzukaufen, kommt ihm Tamara aus der Wohnung über ihm entgegen. Eigentlich kennt er ihren Namen nur von der Post im Hausflur. Xavier hebt sie immer auf und legt Mel und Tamara ihre Briefe vor die Tür. Tamara ist erst vor ein paar Monaten eingezogen, und die meisten Gespräche, die die
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