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Elf Leben

Elf Leben

Titel: Elf Leben
Autoren: Mark Watson
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beiden bisher geführt haben, sind ungefähr so abgelaufen wie das, was jetzt folgt:
    »Ach, hallo!«
    »Hallo …«
    »Kommst du gerade vom Einkaufen?«
    »Ja«, sagt Tamara, und dann: »Ich hätte dir doch was mitbringen können«, so energisch, als wäre ihnen ein bedauerlicher Logistikfehler unterlaufen.
    »Ach, schon okay. Ein bisschen Bewegung schadet mir auch nicht«, sagt Xavier.
    »Und, machst du noch irgendwas Schönes heute Abend?«
    »Arbeiten«, sagt er.
    Obwohl sie dieses Gespräch so oder so ähnlich schon Dutzende Male geführt haben, hat sie noch nie gefragt, was er beruflich macht, und Xavier ist das nur recht. Er weiß gar nicht so genau, warum er nicht als Xavier Ireland aus dem Radio erkannt werden will. Es ist unwahrscheinlich, dass jemand wie Tamara, eine städtische Angestellte Ende zwanzig, die um zehn Uhr ins Bett geht und einen Freund hat, je von ihm gehört hat. Und selbst wenn, was wäre schon dabei? Trotzdem, irgendetwas an der Anonymität der Sendung schätzt er sehr; es geht darum, eine Grenze aufrecht zu erhalten zwischen den Leuten, die einschalten und ihn um Rat bitten, und denen, die hören, was er sich im Fernsehen ansieht oder wie sein Badewasser durch die Rohre rauscht.
    »Und du?«
    »Ich bleib zu Hause und mach einen Ruhigen«, sagt Tamara. »Fernsehen und Badewanne. Für alles andere ist es zu kalt!«
    »Ja, ist echt kalt.«
    Ungefähr an diesem Punkt gerät das Gespräch normalerweise ins Stocken.
    »Na dann, schönen Abend!«
    »Dir auch!«
    Und schon geht er weiter die Bayham Road hinauf, während Tamaras Absätze sie zur Nr. 11 hinuntertragen.
    Am Abend, als er sich im Fernsehen eine Nachrichtensendung ansieht, merkt er, wie eine unbestimmte Einsamkeit sanft, aber spürbar an ihm nagt. Er ertappt sich dabei, wie er sich Matilda beim Kochen vorstellt, splitternackt bis auf die Stiefel, an einem der vielen heißen, verschlafenen Nachmittage in ihrer gemeinsamen Wohnung in Melbourne. Sie fühlte sich nackt so wohl wie angezogen und trieb ihn in den Wahnsinn, wenn sie, nur mit den Sommersprossen auf ihren Schultern bedeckt, durch die Wohnung wanderte und dabei geschäftliche Anrufe erledigte. Er liebte es, der Einzige zu sein, der das wusste. »Guten Tag, Matilda hier«, sagte sie dann in ihrem besten Businesston, als gäbe es für sie in diesem Moment nur den Kunden, und sah Chris dabei so direkt in die Augen, dass er sich nackt vorkam. »Was kann ich für Sie tun?«
    Es ist nicht leicht, diesen Tagträumen Einhalt zu gebieten, wenn sie einmal im Gange sind, und später am Abend ruft Xavier die Australierin an, womit er selber nicht ganz gerechnet hätte. Es klingelt lange, und kurz bevor sich die Mailbox einschaltet, geht sie ran. Sie ist offensichtlich in einer vollen Bar.
    »Ja, Gemma hier?«
    Sie klingt erfreut, von ihm zu hören. Die beiden verabreden sich. Xavier soll für ein Hochglanz-Kinomagazin einen rumänischen Film besprechen, der in einem winzigen Programmkino auf der Wardour Street läuft. Der Film ist nicht unbedingt die erste Wahl für ein Date, aber es soll eine Komödie sein, und Gemma klingt begeistert.
    »Dann sehen wir uns um acht vor dem Kino?«
    »Super!«
    Als das Gespräch beendet ist, weiß Xavier immer noch nicht so genau, warum er das eigentlich getan hat. Normalerweise geht er allein zu Pressevorführungen, oder er nimmt Murray mit, der zu spät kommt und geräuschvoll Popcorn kaut. Egal, nun ist es so. Er hat schon seit vier Monaten kein wie auch immer geartetes Date mehr gehabt. Manchmal muss man sich einen Ruck geben, sagt er sich. Selbst wenn man nicht glaubt, gerade auf der Suche nach Romantik zu sein, sollte man die Möglichkeit nicht ausschließen. Diesen Rat würde er jedenfalls seinen Hörern in der Sendung geben. Auch wenn er seine eigenen Ratschläge nicht annähernd so ernst nimmt wie alle anderen.
    *
    Am Freitagabend – in dieser Nacht läuft die Sendung nicht – bricht Xavier zu seinem Date mit Gemma auf. Er trägt Jeans, ein schwarzes Hemd und ein Jackett; vielleicht ein bisschen zu formell, aber die Kombination gefällt ihm. Er wirft einen Blick in den Badezimmerspiegel. Er ist unbestreitbar ein hübscher Kerl, groß und blauäugig, was er zur Kenntnis nimmt, ohne dass es seine Stimmung nennenswert beeinflussen würde: Gutes Aussehen ebenso wie Geld, Ruhm, sexuelle Leistungsfähigkeit und so weiter sind wesentlich interessanter für diejenigen, denen diese Dinge fehlen, als für jene, die sie haben. Er hat einen
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