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Elf Leben

Elf Leben

Titel: Elf Leben
Autoren: Mark Watson
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er aus dem Bad geht), sucht sich auf dem Weg zur Tür schnell ein paar Sachen zusammen, in denen er wie die Übergangsauslage in einem Schaufenster aussieht, und macht auf.
    Auf der Schwelle steht eine Frau mit einem riesigen blau-gelb karierten Wäschesack über dem Arm. Ihr schulterlanges Haar ist hellblond, fast schon weiß. Sie hat große, herabhängende Brüste, die sich sogar durch ihren formlosen Regenmantel abzeichnen. Ein paar blasse Sommersprossen in ihrem Gesicht bescheren ihm einen seltsamen Flashback auf Matilda und den eben erst beiseite geschobenen Traum.
    »Ich komme zum Putzen«, sagt sie.
    »Oh«, sagt Xavier. »Ja, ich meine –«
    »Hast du vergessen, dass ich komme? Ich heiße Pippa, das hast du dann ja bestimmt auch vergessen bei dem ganzen Hin und Her neulich abends, also echt, so ein Durcheinander, und dann noch dieser vermaledeite DJ hinterher, was der für ein Spektakel veranstaltet hat.«
    Pippa tritt ein und redet weiter, und Xavier geht einen Schritt zurück, wie ein Boxer in der Defensive.
    »War ja schon irgendwie Zeitverschwendung, man kam gar nicht dazu, irgendwen kennenzulernen, aber was will man erwarten, letztlich will man ja bloß mal unter Leute kommen.«
    Sie ist ungefähr so alt wie er, vielleicht etwas jünger, was Xavier leicht beschämend findet: Es kommt ihm irgendwie dekadent vor, eine Putzfrau zu haben, die mit ihm in eine Klasse gegangen sein könnte. Sie hat einen typisch nordenglischen Geordie-Akzent, der den Wortenden die Konsonanten entreißt und sie manchmal auch aus der Mitte kidnappt. Selbst nach mehreren Jahren in Großbritannien staunt Xavier noch über die vielen Dialekte, die er in der Sendung hört. Pippa steht in der Küchentür und lässt den Blick durch die ungepflegte Wohnung schweifen, was Xavier als professionelles Peilen der Lage deutet.
    »Ja, um ehrlich zu sein, ich hatte, ähm, ich hatte vergessen, dass du kommst, deshalb sieht es hier ziemlich, äh, unordentlich aus …«
    »Deshalb bestellst du ja eine Putzfrau!«, sagt Pippa lebhaft. »Man geht ja auch nicht ins Krankenhaus, wenn einem nichts fehlt!« Er spürt, dass sie diesen Satz nicht zum ersten Mal sagt; wahrscheinlich entschuldigt sich jeder für den Zustand seiner Wohnung. »Wo soll ich anfangen?«
    »Also, ich war eigentlich gerade im Bad, also lieber woanders …«
    Pippa lässt ein kehliges Lachen erschallen, als wäre das gerade ein viel schmutzigerer Witz gewesen als es war, und schon packt sie ein Arsenal von Spraydosen, Flaschen, Reinigungsmitteln und Polituren aus ihrem Wäschesack aus.
    »Glaub mir, es gibt nichts, was ich nicht schon gesehen hätte! Wenn man in einem Hotel putzt, kann einen nichts mehr schocken.«
    »Kann ich mir vorstellen«, sagt Xavier.
    »Letzte Woche erst, da musste ich das Zimmer von einer Rockband saubermachen«, fährt sie fort und nagelt Xavier, der gerade rausgehen wollte, mit ihrer Anekdote fest. »Die hatten nach dem Konzert die ganze Nacht Remmidemmi gemacht, Alkohol und Drogen und so, an die vierzig Leute waren das, vor allem Mädchen natürlich, diese armseligen Dinger, die sich jedem Rockstar an den Hals hängen, als ob irgendwas Imponierendes daran wäre, mit langen Haaren durch die Gegend zu laufen und Gitarre zu spielen …« (Holt diese Frau auch irgendwann mal Luft beim Sprechen?, fragt sich Xavier.) »Ich also am nächsten Tag da rein – um zwei Uhr nachmittags wohlgemerkt, die Herrschaften haben zwei Stunden zu spät ausgecheckt, und ich dachte, mich trifft der Schlag. Eine Kotzpfütze an der anderen. Kondomverpackungen. Und überall Flaschen, also wirklich überall. Der Tisch war Kleinholz, und auf dem Badfußboden lag ein Kackhaufen, also ehrlich, wenn man schon so nah rangeht ans Klo, warum dann nicht gleich richtig und sich draufsetzen. Und die Hotelinfomappe, die hatten sie mit Graffitis beschmiert!« Sie sagt das, als wäre es das schlimmste Vergehen von allem. »Lauter Pimmel draufgemalt!«
    »Und ich , ich natürlich runter und mich beschwert …« (Dieses Wort zieht sie, statt mit ihrem Dialekt darüberzumähen, voller Entrüstung beträchtlich in die Länge, be- SCHWE -aht ). »Und weißt du, was die zu mir sagen? Sie sind doch die Putzfrau! Wir erwarten von Ihnen, dass Sie das Zimmer saubermachen!«
    »Hast du aber nicht, oder?«
    »Doch.« Sie verdreht die Augen. »Ich kann’s mir nicht leisten, den Vertrag zu verlieren. Aber ich sag dir, ich hab dem Hotelmanager innerlich die ganze Zeit die Fresse poliert, das kannst du
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