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Elf Leben

Elf Leben

Titel: Elf Leben
Autoren: Mark Watson
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mir glauben.«
    Sie sieht Xavier direkt ins Gesicht.
    Glaube ich dir, denkt er.
    »Aber ich muss aufhören zu plappern, hör einfach nicht hin, ich bin unmöglich, wenn ich jemanden neu kennenlerne. Ich rede und rede und rede.«
    Xavier hat eine Idee.
    »Würdest du … könntest du vielleicht im Arbeitszimmer anfangen?« Er zeigt auf den kleinen Raum linkerhand der Wohnungstür. »Es ist nur, weil ich heute Vormittag, also ich meine, heute Nachmittag da arbeiten wollte.«
    »Aber klar, Schätzchen«, sagt Pippa.
    Mit einem Griff schnappt sie sich ihre Putzsachen, wobei sie eine schier unglaubliche Menge davon in jede Hand bekommt. Mit einer Art dankbarem Schulterzucken zieht sich Xavier endlich ins Bad zurück, wo Dutzende Liter Wasser in den Abfluss gerauscht sind, wie er schuldbewusst feststellt. Mittlerweile ist es heiß.
    Xavier steht in der Dusche und ist erleichtert, dass er sie gebeten hat, im Arbeitszimmer anzufangen: Dann kann er sich dort verbarrikadieren und die Kritik des rumänischen Films schreiben, statt sich zwei Stunden lang ihren Gedankenfluss anhören zu müssen. Oder noch länger? Er kann sich nicht erinnern, dass sie eine bestimmte Dauer für Pippas Besuch vereinbart hätten, wahrscheinlich macht sie einfach so lange, bis alles fertig ist, aber andererseits – wie lange soll das denn dauern? Ihm kommt der Gedanke, dass die Frau – obwohl es natürlich unwahrscheinlich ist – in Wirklichkeit eine Verrückte sein könnte: Er hat ihr einfach so geglaubt, dass sie Putzfrau ist. Was, wenn sie das überall macht, wo jemand unbesonnen genug ist, sie hereinzulassen? Es laufen viele Spinner herum. Quatsch, sagt sich Xavier, mach dich nicht lächerlich, sie hat genauso viel Grund zu der Annahme, dass du verrückt bist. Guck dir bloß mal an, wie es bei dir in der Küche aussieht.
    Als Xavier in sein Arbeitszimmer zurückkommt, ist es flink und kompromisslos aufgeräumt worden; herumliegende Bücher wurden in die Regale zurückgestellt oder fein säuberlich in den Ecken gestapelt, der Laptop steht einsatzbereit auf dem Schreibtisch, statt auf dem Boden herumzulungern, und – wie er nach einigen desorientierten Augenblicken feststellt – die Möbel wurden zum ersten Mal richtig von Staub befreit, seit er sie besaß. Pippa hat die Vorhänge zurückgezogen, die den Blick auf einen diesigen, aber freundlichen frühen Nachmittag freigeben. Jamie prescht auf einem Feuerwehrauto durch den Garten und ahmt lautstark eine Sirene nach.
    »Sieht echt super aus!«, will er in die Küche rufen, wo Pippa einen ernsteren Kampf begonnen hat, überlegt es sich dann aber anders – es könnte gönnerhaft rüberkommen, und außerdem würde er sich eine weitere wortreiche Antwort einhandeln. Er schaltet den Computer ein und versucht, die Kritik von Der Mann, der nicht existierte zu beginnen.
    In den nächsten zwei Stunden kommt Xavier nur schleppend voran: Seine Erinnerungen an den Film sind wegen Gemmas Gezappel nur lückenhaft, und es ist komisch zu arbeiten, während jemand anderes in der Wohnung ist. Er hört, wie Pippa mit Bürsten und Lappen seine Sachen attackiert und Raumspray versprüht wie eine Polizistin Tränengas. Als sie ins Schlafzimmer geht, kommen ihm erneute Bedenken, und er stellt sich vor, wie sie seine platt gelegenen Kissen in Angriff nimmt – wie sie sie faltet und schüttelt und räumt und um seine verstreute Unterwäsche dabei entweder einen Bogen macht oder (das ist wahrscheinlicher, überlegt er) sie in den Wäschekorb befördert. Ein- oder zweimal nimmt er leise ein Zimmer in Augenschein, während Pippa in einem anderen zugange ist, und das Ergebnis kann sich sehen lassen. Die Küche erstrahlt in einem beinahe gequälten Glanz, wie ein Patient, der noch schwach ist von einer Operation: Die Oberflächen sehen, zumindest auf den ersten Blick, wie die jungfräulichen Arbeitsplatten bei IKEA aus. Das Bad ähnelt einem schmuddeligen Schuljungen, der für ein Klassenfoto herausgeputzt ist und verlegen aus seinen neuen Sachen grient. In der ganzen Wohnung herrscht eine gesunde, glänzende Atmosphäre, in die sich aber auch Erschöpfung mischt, als befänden sich die leblosen Objekte immer noch in einer Art Schockzustand über ihre Behandlung.
    Pippas Energie ist ungebrochen, als er ihr gegen Ende ihres zweieinhalbstündigen Einsatzes einen Tee anbietet. Sie trägt ein langes, ausgewaschenes schwarzes T-Shirt von einer Jugendsportveranstaltung.
    »Sieht toll aus«, sagt Xavier unbeholfen zu
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