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Elf Leben

Elf Leben

Titel: Elf Leben
Autoren: Mark Watson
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Störfaktor betrachten.
    Aber Murray ist schon die ganze Woche auffallend still, auf dem Hin- und Rückweg und in der Sendung selbst. Am Montag, wo Murray die gedrückte Wochenanfangsstimmung der Hörer normalerweise durch besondere Gute-Laune-Ergüsse überkompensiert, macht er gerade mal eine Bemerkung. Der Dienstag ist nicht viel besser, und Xavier spürt allmählich, dass irgendetwas an seinem Freund nagt. Sein Stottern, stets ein Maßstab innerer Unruhe, flackert immer wieder auf: Beim Plausch während der Zwei-Uhr-Nachrichten braucht Murray fast eine halbe Minute, um sich durch den Halbsatz »wieder völlig umgekrempelt« zu ackern. Das hält ihn davon ab, weitere Kommentare einzuwerfen, und die Dienstagssendung ist so langweilig, dass Xavier sich fast schämt bei dem Gedanken, dass jemand zuhört.
    Auf dem Heimweg, als sie die Bayham Road zur Nr. 11 hinabrollen, fragt Xavier vorsichtig: »Alles in Ordnung, Murray?«
    »Klar. W-w-was soll denn nicht in Ordnung sein?«
    Xavier überlegt, ob er ihn noch auf einen Absacker einladen soll, macht es dann aber doch nicht, so wie er Anfang der Woche auch nicht bei Mel ans Telefon gegangen ist.
    Erst am Donnerstagnachmittag fällt Xavier der Wortwechsel wieder ein, und er grübelt über die scheinbar beiläufige Bemerkung: »Was soll denn nicht in Ordnung sein?« Eigentlich gibt es so vieles, zu jeder Zeit im Leben von jedem, was nicht in Ordnung sein könnte. Das ist einer der Gründe, warum sich Xavier in seiner Sendung so wohl fühlt, wo er sich die Probleme der Leute fünf Minuten lang anhört, wie ein Speed-Dater der Beraterwelt, und die Anrufer dann mit seinen besten Wünschen wieder ins Leben hinausschickt. Außerhalb des Fünf-Minuten-Formats sind Probleme wesentlich weniger geschmeidig, haben plötzlich Wenns und Abers und ändern ihre Gestalt wie Tinte in Wasser. Besser, sich gar nicht erst einzumischen, statt herumzustümpern und schlafende Hunde zu wecken, die man nicht bändigen kann. Natürlich könnte das auch bloß wieder eine Ausrede sein, mit der sich Xavier für all die unterlassenen guten Taten der letzten Zeit rechtfertigt.
    In jener Nacht kommt ein weiterer Anruf des Mathelehrers mit den drei gescheiterten Ehen: so formuliert er es, obwohl Xavier ihn davon abzubringen versucht, wobei er – das merkt er selbst – unangenehm nach einem Psychotherapeuten klingt, obwohl er sich doch lieber als überzeugenden Hobbyberater betrachtet.
    »Ich glaube, es tut Ihnen nicht gut, diese drei Ehen als gescheitert zu bezeichnen, Clive.« Sie reden einander mittlerweile mit Vornamen an; Clive ist ein regelmäßiger Anrufer geworden. »Wissen Sie, wenn Sie es so betrachten, sind Sie nicht weit davon entfernt, zwanzig oder dreißig Jahre Ihres Lebens als Misserfolg abzuschreiben.«
    »Aber das waren sie ja vielleicht auch.«
    Murray will etwas sagen, aber Xavier, der den Navigationskünsten seines Kumpels in diesen gefährlichen Wassern nicht traut, ist schneller.
    »Ich glaube nicht, dass man das wirklich so sagen kann, Clive. Ich kenne dieses Gefühl selbst sehr gut, aber es bringt einen kein Stück weiter.«
    In der nächsten Werbepause spielt Murray an der Ecke von einem Blatt Papier herum und sagt leise zu Xavier: »Ein Freund von mir hat dich neulich mit einem Mädchen gesehen.«
    »Mit einem Mädchen?«
    »Ihr hattet ein Date.«
    »Ach so. Ja. Die Australierin. Ich war mit ihr im Kino. Es lief nicht so besonders.«
    »Hast d-d-d-du, hast d-du …?«
    »Ob ich mit ihr geschlafen habe? Na ja, wir hatten Sex. Zum Schlafen kam es dann gar nicht mehr. Sie ist mitten in der Nacht abgehauen. Wie gesagt, es war nicht gerade ein Erfolg.«
    »K-kanntest du sie schon vorher? A-a-aus Australien?«
    Xavier grinst.
    »Nein. Australien ist zwar klein, aber irgendwie waren wir uns noch nicht über den Weg gelaufen.«
    Aber Murray wirkt verärgert über den Witz, was ihm eigentlich nicht ähnlich sieht. »Woher soll ich denn wissen, wen du in Australien kanntest und wen nicht? Du erzählst mir ja nie, w-w-was so los war, bevor du hierher gekommen bist. Du w-w-wechselst jedes Mal das Thema.«
    Xavier stellt seine BIG - CHEESE -Tasse ab und sieht seinen Freund an. Zwei übergroße Kopfhörer sitzen schief auf seinem Kopf, der rechte tiefer als der linke.
    »Alles klar, Kumpel? Beschäftigt dich was?«
    Murray reibt die Kante des Blatts zwischen den Fingern.
    »D-d-d-du hast gesagt, e-e-es hätte sich niemand gemeldet. Vom Speed-Dating.«
    »Na ja, da hatte sich ja auch noch
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