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Elf Zentimeter

Elf Zentimeter

Titel: Elf Zentimeter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Scheiblecker
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ich wusste schon, dass ich mich auf Dauer nicht damit abspeisen lassen würde. Ich hatte die Sache nun einmal durchschaut. Ich war bereit, mich noch eine Weile zu belügen. Aber eine Lösung meines Problems würde ich so nie finden.

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    19
    D er Wettbewerb für Nachwuchskabarettisten fand mit Publikumswahl statt. Es gewann also, wer die meisten und lautesten Freunde hatte. Ich ließ eine Weile von meinem Genitalbereich ab und telefonierte alle meine Freunde durch. Fast vierzig waren es schließlich, die ich in Hainfeld und Umgebung mit Hilfe von Jakob und meinem Vater zusammentrommelte.
    Etwa einen Monat vor dem Wettbewerb hatte ich mein Programm »Workaholic« noch einmal bei einem Bierfest erprobt. Es war schon ziemlich kalt, ich war auch skeptisch, ob das Publikum aufmerksam sein würde. Aber das Honorar stimmte. Es war eigentlich so etwas wie meine erste Auftragsaufführung.
    Aber entweder war mein Text nicht gut, oder ich schaffte es an diesem Tag nicht, die Pointen gut zu bringen. Die Bühne war im größten von drei Bierzelten aufgestellt. Zahlreiche Lautsprecher verstärkten meine Stimme über ein Headset-Mikrofon. Die Kommentare waren eindeutig.
    »Hör bitte zu labern auf.«
    Ich machte auf professionell, spulte mein Programm ab.
    Ich fragte mich, wie ich eigentlich zu einer Schwanzlängenjury kommen könnte. Am besten, ich rief in einem Bordell an. Man brauchte vermutlich Kontakte. Wer hatte Kontakte zu einem Bordell?
    »Halt die Klappe.«
    Zahlen konnte ich nicht viel. Ich konnte nur möglichst detailliertes Bildmaterial besorgen. Wenn eine Frau einem Mann seine Schwanzlänge ansehen konnte, dann wohl auch auf Fotos. Vielleicht sogar auf Zeichnungen. Es ging ja wahrscheinlich um den Gesamteindruck. Ich würde je fünf Bilder von fünfzig Personen zusammenstellen und sie der Jury präsentieren.
    »Was quakst du da oben eigentlich?«
    Kurz befürchtete ich, das Mikro und die Boxen seien ausgefallen. Aber nein, überall dröhnte meine Stimme. Ich spürte mich nur selbst nicht, und deshalb hatte ich mich auch nicht gehört. Vielleicht hatte ich einfach zu lang versucht, meinen Unterleib zu manipulieren. Ich sah meinen Vater aufmunternd nicken, aber ich fühlte mich nicht besser dadurch.
    Wie viel verlangte eigentlich eine intelligente Prostituierte mit mehrjähriger Erfahrung für eine Stunde, wenn sie nichts besonders Schmutziges tun musste? Das Dreifache davon waren im Prinzip die Maximalkosten für mein Vorhaben.
    Mein Vater beantwortete die Frage, wie ich gewesen sei, ausweichend.
    »Du warst super«, sagte er. Wenn er »gut« meinte, sagte er niemals »super«.
    »Und das mit dem Schmatzen?«
    »Daran musst du noch arbeiten.«
    »Und die Pointen?«
    »Wie ich immer sage: Eine gute Pointe musst du zelebrieren wie einen Gottesdienst.«
    »Das heute war eher eine Totenmesse.«
    Er lachte.
    Aber beim Wettbewerb war das Publikum anders. Es tobte und ließ mich den ersten Preis gewinnen.
    Mein Glück war auch, dass alles schiefging und ich trotzdem oder gerade deshalb locker blieb. Zuerst hatte ich das unerträglichste Lampenfieber meines Lebens. Ich dachte an Elvis Presley, dem es angeblich auch immer so gegangen ist.
    Vor mir redete ein Mitbewerber über Barbie-Puppen und eine junge Künstlerin widmete sich diversen Sex-Stellungen, rein verbal natürlich. Ich konnte ihren Ausführungen kaum folgen und beschloss, mich einmal statt mit Penislängen eingehend mit der Materie Liebeskunst auseinanderzusetzen. Aber erst, wenn eine Frau in Reichweite wäre.
    Dann fiel ausgerechnet der Ton aus, als ich an die Reihe kam. Ich improvisierte und erzählte etwas von den heiligen Sadhus, die ohne Mikro live mit ihrem Gott im Himmel reden konnten. Als die Boxen wieder summten, war mir schließlich mein eigentlicher Text entfallen und ich improvisierte wieder.
    Oh, das bin ja ich, dachte ich, als die Jury aufgrund der gemessenen Dezibel einen gewissen Stefan Scheiblecker als Sieger verkündete. Jakob schwor, dass das vor allem an der ohrenbetäubenden Klatschtechnik lag, die er noch am Vorabend einstudiert hatte.
    Mein Preis kam auch gleich auf die Bühne. Es handelte sich um einen ganz in orange gekleideten Regisseur mit norddeutschem Akzent.
    »Wir beide werden einen weiten Weg zu gehen haben«, sagte er auf der Bühne.
    »Dieses Bäurisch, das du da sprichst, musst du dir abgewöhnen«, sagte er hinter der Bühne.
    Etwas später empfahl er mir einen norddeutschen Akzent wie den seinen. Derlei lasse sich

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