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Elf Zentimeter

Elf Zentimeter

Titel: Elf Zentimeter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Scheiblecker
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ungleich groß waren. Im Prinzip war das jedem egal. Niemand bemerkte es. Zwei gleiche Dinge sind nie wirklich genau gleich. Eineiige Zwillinge werden einander umso unähnlicher, je länger man sie kennt. Die männlichen Hoden sind auch nie genau gleich groß und Beine sind nie genau gleich dick. Wissenschaftlichen Forschungen zufolge sind noch nie in der Erdgeschichte zwei Schneeflocken mit genau der gleichen Kristallstruktur zur Erde geglitten. Aber diese Frau steigerte sich in ihren Busenunterschied hemmungslos hinein. Ihre Selbsttherapie bestand darin, über dieses Problem bei jeder Gelegenheit zu reden.
    Die Folge war, dass Männer sie mieden, dass sich nicht einmal mehr gute Bekannte mit ihr auf der Straße zeigen wollten. Auch ihre Freundinnen gingen ihr bald aus dem Weg, um kein schlechtes Karma abzukriegen. Sie hatte es geschafft, eine natürliche Sache zu einem Problem zu machen und sich selbst zu dessen trauriger Protagonistin. Wenn sie ein Lokal betrat, war die Stimmung sofort um ein paar Grad kühler.
    »Ach ja, mein Busen ist auch irgendwie ungleich«, dachten bedrückt alle Frauen.
    »Ach ja, der Busen meiner Freundin ist auch ziemlich ungleich«, dachten die Männer.
    Wenn ich mich über das Schwanzlängenthema wagte, musste meine Motivation hundertprozentig stimmen. Ich musste es tun, um die Welt zu retten, nicht um mich selbst zu retten. Das hieß: Bevor ich mit dem Thema an die Öffentlichkeit ging, musste ich das Problem für mich selbst gelöst haben. Es ging also nicht mehr nur um Fabian und Sabine, es ging auch um meine berufliche Zukunft.
    Mit den ersten Lachern gewann ich weiter an Sicherheit. Ich suchte immer wieder Augenkontakt mit dem Publikum, während ich meine besten Gags abfeuerte:
    »Jetzt bestellen, solange der Vorrat reicht! Egal ob Gurken, Kartoffeln oder Melanzani, mit dem Gurkenhachler 3000 wird das Kochen zum Kinderspiel! Wir haben bereits weltweit drei zufriedene Kunden. Der Kuchshofer Berthold ist einer davon.
    Ja, das bin ich. Ich habe jetzt in einer Woche zwanzig Kilo abgenommen, weil ich mit dem Gurkenhachler so gesund esse. Zwanzig Kilo gehackte Gurken am Tag! Und ich habe mir schon drei Gurkenhachler 3000 gekauft. Weil der Vorrat reicht nicht ewig. Und in fünfzehn Minuten gibt es schon den Gurkenhachler 4000, und der ist dann noch besser. Den kauf ich dann auch!«
    Ich sah dabei in die Augen einer jungen Frau, die in einer der hinteren Reihen saß. Über die Köpfe hinweg begegneten sich unsere Blicke wie magisch voneinander angezogen. Das konnte mir nur mit einer einzigen Frau auf dieser Welt passieren.
    Sie war also doch gekommen. Vor Schreck verstolperte ich die Pointe ein wenig und verpasste beinahe den Anschluss zur nächsten.
    Von da an vermied ich den Blick nach hinten. Ein einziges gelangweiltes Stirnrunzeln von ihr hätte mich völlig aus dem Konzept gebracht. Schließlich tat ich alles nur für sie. Spielen, schreiben, meinen Schwanz massieren.
    Nach der Vorstellung stieß ich in der Kantine mit Freunden und Verwandten auf meinen Auftritt an. Ich hatte keine Erinnerung mehr daran. Ich wusste nicht einmal genau, wie ich beim Publikum angekommen war. Mein Kopf war taub von Sabines Anwesenheit und meiner Unfähigkeit, darauf zu reagieren. Alle klopften mir auf die Schulter.
    »Es war ein großartiger Abend«, sagten sie.
    Ich glaubte ihnen kein Wort.
    Warum erwähnte niemand Sabine? Alle wussten, wie wichtig sie mir war. Hatte sie sich abfällig geäußert? War sie noch vor dem Ende gegangen? Schließlich nahm ich Jakob beiseite.
    »Sag schon, wie hat sie es gefunden?«
    »Wer?«
    »Na wer wohl.«
    »Du meinst Sabine?«
    Er klang unsicher.
    »Verarsch mich nicht«, sagte ich.
    »Sie war doch gar nicht da. Ich wollte es dir nicht sagen, du weißt schon. Sie arbeitet jetzt ja auch in dieser Disco in Sankt Pölten und sie hatte heute Dienst. Ich glaube, sie wollte noch tauschen, aber es ging irgendwie nicht.«
    Ich sah mich um. Ich hatte sie doch gesehen! Warum logen mich alle an? Schon seltsam, dass Sabine im Publikum gewesen und dann nicht hierhergekommen war. Vielleicht gab es in der Disco so etwas wie einen Spätdienst. Ich ließ Jakob stehen. Die ganze Reihe, in der ich sie gesehen hatte, war längst verlassen. Womöglich hatte sie sich von mir ignoriert gefühlt. Ich geriet in Panik. Manisch verhörte ich alle Leute, derer ich habhaft werden konnte. Vielen musste ich erst lang und breit erklären, wen ich suchte. Diejenigen, die Sabine kannten, versicherten

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