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Elf Zentimeter

Elf Zentimeter

Titel: Elf Zentimeter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Scheiblecker
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Akzent«, sagte er. »Das ist ein Albtraum.«
    »Ein bisschen ländlicher Charme tut der urbanen Theaterwelt sicher gut.«
    »Vielleicht. Aber du musst nicht gleich einen ganzen Misthaufen auf die Bühne kippen.«
    Seine beiden Freunde ignorierte ich. Der Regisseur hatte ihnen während meiner Darbietung ständig Dinge zugeraunt und sie hatten demonstrativ leise und gelangweilt geklatscht.
    »Ist hier immer so wenig los?«, fragte ich.
    »Das hängt davon ab, wer auftritt«, sagte er scharf.
    Vier Auftritte waren vereinbart. Ich hatte keine Lust, vor leeren Rängen zu spielen. Also telefonierte ich herum. Beim zweiten Mal chauffierten Jakob und mein Vater ein paar Freunde nach Wien. Die lachten noch einmal über die Witze, die sie schon kannten.
    »So übel kann mein Programm also nicht sein«, sagte ich zu dem Regisseur.
    »Die sind aus deinem Dorf«, sagte er.
    »Na und?«
    »Die hören das Bäurische nicht. Denen kommt das wie Hochdeutsch vor.«
    Der Regisseur hatte über die beiden Freunde vom ersten Auftritt hinaus keine weiteren, was mich auch gar nicht wunderte. Meine eigenen Freunde konnte ich beim besten Willen kein drittes Mal einladen. Daraus zog ich die einzige logische Konsequenz. Ich kam selbst nicht zu meinem Auftritt.
    »Ich habe eine Menge zahlender Gäste heimschicken müssen«, sagte der Regisseur. »Weißt du eigentlich, dass ich dich klagen könnte? Zum nächsten Termin kommst du. Klar?«
    »Klar.«
    Ich bezweifelte, dass er mich tatsächlich klagen würde. Er musste wissen, dass bei mir nichts zu holen war. Außerdem war er selbst ein erfolgloses armes Würstchen und hatte sicher genug andere Probleme. Trotzdem konnte ich kein Risiko eingehen. Da spielte ich lieber vor leerem Haus.
    Ich lehnte mich zurück und fing an zu grübeln. Sabine hatte offensichtlich nicht mehr das geringste Interesse an mir und trotzdem konnte ich sie nicht vergessen. Ich war inzwischen Vater geworden, und wenn mich die Mutter meines Sohnes einlud, bei ihr zu wohnen, bekam ich Panikattacken. Mein Exchef bei der Bahn hatte sich noch nicht gemeldet und ich wollte ihn nicht terrorisieren. Das Kabarett würde noch lange keine echte Geldquelle sein. Den Hainfeldern konnte ich höchstens zwei Auftritte pro Jahr im Kulturzentrum zumuten und jenseits der Ortsgrenzen hatte ich zwar vielleicht auch Möglichkeiten, aber es war dennoch weit schwieriger.
    Ich musste mir endlich eine Penispumpe besorgen.
    Da war es wieder, dieses Thema. Mein Schwanz. Ich blieb noch eine Weile sitzen und kam zu einer Erkenntnis. Immer wenn die Dinge gut liefen, stellte mein Schwanz kein Problem dar. Bloß unter Druck konzentrierte sich all mein Denken auf ihn.
    Regel Nummer zwei lautet dementsprechend:
    2.
Denkt man zu viel an den Schwanz,
übernimmt der Schwanz bald das Denken.
    Es war Abend geworden, und ich ging ins Kino, um mich von meinen Problemen abzulenken.

[home]
    26
    N ur jetzt keinen amerikanischen Film. Ich brauchte jetzt keine Typen mit XL -Schultern und einer fetten Beule im Schritt, als würde dort eine zusammengewickelte Boa schlummern. Ich hätte mich nur noch mehr als Blindschleiche gefühlt. Lieber etwas Französisches mit Kulturaspekten. Da hielt zwar der Spannungsbogen nicht ganz, dafür weckten einen gegebenenfalls keine Explosionen.
    »Les amants réguliers«. Das französische Studentenmilieu in den 1960er-Jahren, schwarzweiß, drei Stunden. Das war genau der richtige Film, um ein bisschen abzutauchen.
    Ich fühlte mich zu elend, um das Grinsen der Kartenabreißerin als Lächeln zu interpretieren. Diese urbanen Studentinnen wussten vermutlich auf den ersten Blick, woran sie bei mir waren. Die Promiskuität fördert das Grundwissen von Frauen über die Schwanzlängen von Männern. Was meine künftige Jury konnte, konnte vermutlich in Ansätzen jede halbwegs erfahrene Frau. Von wegen Grinsen und Lächeln. Wahrscheinlich hatte sie mich einfach ausgelacht.
    Im einzigen Saal des kleinen Programmkinos roch es nach Politur und alten Möbeln. Ich ließ mich in einen der Polstersitze in der vorletzten Reihe sinken. Das Publikum entsprach etwa jenem meiner Wiener Auftritte. Außer mir war nur noch ein junges Paar da, das sich in einer der vorderen Reihen ständig küsste und zwischendurch kicherte.
    Der Saal wurde dunkel, die Leinwand hell und ich verschwand in einer anderen Welt. Ich mochte den Film. Der Kampf zwischen den Pariser Studenten und der Polizei im Mai 1968 wurde nur in Form absurder Bewegungsabläufe zu beiden Seiten der

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