Elfenbann
zusammen wäre, weil ich ihn liebe oder weil ich dich eifersüchtig machen will?«
»Verletzen?«, fragte Tamani sofort, ehe er begriff, worauf sie hinauswollte. Dann hielt er inne und sah sie an. Sie standen immer noch auf der Veranda im Regen, der zu einem leisen feuchten Zischen auf dem Blech- und Kronendach verebbt war. Doch obwohl es meilenweit das einzige andere Geräusch war, hörte Laurel es nicht, so laut und abgerissen atmete sie selbst.
Leise, fast unhörbar, flüsterte Tamani: »Ich würde nie etwas tun, nur um dich zu verletzen.«
»Ach nein?«, fragte Laurel, und dann schrie sie die Frage hinaus, die sich seit so vielen Tagen in sie hineingefressen hatte. »Und was ist mit dem Tanz? Als ich dich angesehen habe, hast du weggeguckt und sie fester an dich gezogen. Warum hast du das getan? Wozu, wenn nicht, um mich zu verletzen?«
Er wandte den Kopf ab, als hätte sie ihn geschlagen, doch er zeigte kein schlechtes Gewissen. Im Gegenteil, er machte einen gequälten Eindruck. »Ich habe die Augen geschlossen«, sagte er so leise und erstickt, dass sie ihn kaum verstehen konnte.
»Was?«, fragte sie, weil sie gar nichts mehr begriff.
Tamani hob die Hand als Zeichen dafür, dass er noch
nicht fertig war. Laurel begriff, dass er die Worte kaum herausbrachte. »Ich habe die Augen geschlossen«, fuhr er nach einigen hastigen Atemzügen fort, »weil ich mir vorgestellt habe, sie wäre du.« Dabei sah er sie an, offen und ehrlich, seine Stimme ein Lied des Leidens.
Ohne nachzudenken, zog Laurel ihn an sich und spürte in seinem Kuss eine Leidenschaft, einen Hunger, gegen die sie nicht ankam. Er stützte sich mit beiden Händen am Türrahmen ab, als hätte er Angst, sie zu berühren. Sie schmeckte die Süße seines Mundes, spürte die Wärme seines Körpers. Da ihre Hand noch immer auf der Klinke lag, öffnete sie die Tür. Unter ihrem gemeinsamen Gewicht flog sie auf und Laurel taumelte rückwärts – die Hand in seinem Haar zog sie ihn mit ins Häuschen.
Dreiundzwanzig
S ie waren wirklich zu lange geblieben – es würde fast dunkel sein, bis sie wieder in Cresent City waren –, aber sie hatten immer wieder Gründe gesucht und gefunden, noch nicht zu fahren. Sie wollten in dem leeren Häuschen verweilen, Händchen halten, über Erinnerungen an Laurels Kindheit lachen oder sich noch einen letzten Kuss gönnen – aus dem schnell zwei wurden, zehn und später zwanzig. Laurel wusste, wenn sie das Häuschen erst verlassen hatten, würde alles wieder genauso kompliziert wie vorher sein. Doch in diesen wenigen Stunden in dem leeren Haus ohne Elektrizität, Telefon, Internet und Fernsehen gehörte die Welt ihnen allein.
Aber sie konnten nicht verhindern, dass der Abend hereinbrach. Laurel hatte überlegt, einfach dort zu bleiben – in dem Häuschen war sie sicher, wahrscheinlich sogar sicherer als zu Hause. Doch während Tamani die Aufgabe hatte, sie zu schützen, war sie für die Sicherheit ihrer Familie zuständig. Aus einer Entfernung von über fünfzig Meilen konnte sie das nicht leisten. Außerdem machten ihre Eltern sich bestimmt schon Sorgen. Als sie endlich wieder in der Lage war, sich an Tamanis Handy zu erinnern, fuhr bereits jeder in seinem Auto nach Crescent City.
Die Fahrt war viel zu schnell vorbei und schon bald war sie nur noch wenige Blöcke von ihrem Elternhaus entfernt. Sie winkte Tamani im Rückspiegel, als er abbog und zu seiner Wohnung fuhr, und sah seinen Rücklichtern nach, bis sie verglommen. Erst als es hinter ihr hupte, merkte sie, dass sie vor einer grünen Ampel gewartet hatte.
Hinter den Wolken kamen schon die Sterne hervor, als Laurel endlich vor ihrem Haus parkte. Das gab Ärger. Der Wagen ihrer Mutter stand in der Garage, aber es sah nicht so aus, als wäre ihr Vater auch schon zu Hause. Laurel steckte die Schlüssel wieder ein und wollte hinten herum ins Haus schleichen. Dort erwartete sie jedoch ihre Mutter, die im Wohnzimmer eine Tasse Tee trank und in einem Gartenmagazin las.
Laurel schloss die Tür hinter sich. »Äh, hi«, sagte sie schließlich.
Ihre Mutter warf ihr einen prüfenden Blick zu. »Ich habe heute einen interessanten Anruf vom Schulsekretariat erhalten.« Laurel wand sich innerlich und lenkte von sich ab, indem sie ihre Blütenblätter aus den seidenen Fesseln befreite.
»Du hast dich den ganzen Nachmittag nicht im Unterricht blicken lassen.«
Die Ausrede, die sie sich auf dem Heimweg zurechtgelegt hatte, war nicht mehr zu gebrauchen, also
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