Elfenbann
zu beschützen?«, fragte Tamani wütend.
»Eine sehr gute Frage.« Shar war ihm nachgeklettert. »Willst du dich damit zu Tode quälen?«
»Was soll das denn heißen?«
»Du hattest die Wahl, entweder die Orks zu verfolgen oder bei Laurel zu bleiben. Du bist bei Laurel geblieben. Keine Ahnung, ob das die bestmögliche Entscheidung war, aber sie war vertretbar , zumal Laurel nicht bei Bewusstsein war und sich nicht selbst verteidigen konnte. Wenn du dich anders entschieden hättest, wäre es dir vielleicht gelungen, den Orks in ihre Höhle zu folgen. Doch auch diese Jagd hätte erfolglos bleiben können, so wie es bisher hier gelaufen ist. Es tut mir leid, dass Aaron mit deiner Entscheidung nicht einverstanden war, aber das solltest du nicht verinnerlichen. Du musst nach vorne blicken.«
Tamani schüttelte den Kopf. »Aaron war schon ganz in unserer Nähe und hätte Laurel sicher nach Hause bringen können. Währenddessen hätte ich der Vernichtung
der schlimmsten Bedrohung, die es für sie gibt, sehr viel näher kommen können.«
»Das ist ein hübscher Gedanke, weil sie es wirklich sicher nach Hause geschafft hat. Aber woher willst du wissen, ob nicht noch mehr Orks genau darauf gewartet haben, dass du Laurel allein lässt? Oder ob Klea und/oder Yuki darauf zockten?«
»Das ist außerordentlich unwahrscheinlich«, grummelte Tamani.
»Stimmt, aber du bist Fear-Gleidhidh . Es ist dein Job, auch die entfernteste Gefahr vorauszuahnen und in deine Überlegungen einzubeziehen. In erster Linie musst du dafür sorgen, dass Laurel am Leben bleibt und ihre Aufgabe erfüllt.«
»Wenn sie stürbe, würde ich alles stehen und liegen lassen und in den Weltenbaum eingehen«, sagte Tamani.
»Ich weiß«, flüsterte Shar in der Dunkelheit.
Eine Stunde verging, und noch eine, ohne dass die beiden Elfen noch etwas sagten. Sie konzentrierten sich auf den Wald vor ihnen. Tamani fielen immer wieder die Augen zu, die Erschöpfung war so tief, dass sie bis in den Kern zu reichen schien. Er war schon oft zwei Nächte nacheinander aufgeblieben, aber drei war eine zu viel. Shar hatte tagsüber geschlafen, doch bis auf ein kurzes Schläfchen, als Mr Robison den Raum verlassen hatte, und einige kurze Pausen im Baum hatte Tamani nicht mehr geschlafen, seit er gezwungenermaßen Laurels Bett verlassen hatte, weil sie ihn darum gebeten hatte. Dabei wusste er, dass sie gar nicht mitbekommen hätte, wie lange er geblieben wäre, solange er vor Sonnenaufgang
wieder gegangen wäre. Er schloss die Augen und dachte daran, wie er sie zum letzten Mal gesehen hatte: Das blonde Haar ergoss sich auf ihr Kopfkissen wie feinste Maisgrannen und ihr Mund lächelte sogar im Schlaf.
Als es im welken Laub knisterte, riss er die Augen auf. Erst dachte er, es wäre wieder nur ein Reh. Doch die Schritte waren zu schwer für ein so anmutiges Tier.
Tamani hielt den Atem an und wünschte sehnlichst, dass es so weit war. Er traute seinen Augen kaum, als zwei Orks in Sicht kamen. Sie schlenderten durch den Wald, stanken nach Blut und schleppten einen ausgewachsenen Bock mit. Wenn sie geradeaus weiterliefen, würden sie genau unter dem Baum vorbeikommen, in dem Tamani und Shar saßen.
Lautlos kletterten die beiden Elfen nach unten. Die Orks hatten es nicht eilig und blieben immer schön in Sichtweite. Tamani widerstand der Versuchung, über sie herzufallen und sie umzubringen, denn was sie heute vorhatten, war viel wichtiger als der Tod einiger Orks. Es war höchste Zeit herauszufinden, wo ihr Versteck lag und wo all die anderen waren.
Sie folgten ihnen in kurzen Sprints neben dem Weg. Als die Orks stehen blieben, ging Tamani tief in die Hocke. Shar würde hinter ihm dasselbe tun, das wusste er. Die Orks konnten ihn nicht wittern – er blutete nicht und hatte auch keinen Schwefel dabei, der sie in der Nase kitzeln könnte. Doch einige Orks konnten die Gefahr riechen, jedenfalls behauptete Shar das von Zeit zu Zeit.
Der Ork mit dem Hirschkadaver hob ihn wieder auf,
als wollte er seine Mahlzeit gründlich untersuchen. Dann verschwanden beide Orks gleichzeitig.
Tamani musste sich die Hand auf den Mund legen, um sich nicht zu verraten. Sie hatten sich direkt vor seinen Augen in Luft aufgelöst! Er blieb vorerst mit angehaltenem Atem in seinem Versteck und lauschte. In der Ferne hörte er etwas schlurfen, etwas quietschen und Holz auf Holz schlagen. Dann war es still. Eine Minute verging. Zwei, drei. Es war nichts mehr zu hören. Tamani stand auf, alle seine
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