Elfenblick
Fürst sich. Hatte Livian wirklich keine Ahnung, was in seinem Reich vor sich ging? Hatte er ihm, Ferocius, wirklich blind geglaubt?
»Ein Aufstand der Dunkelelfen, mein König«, entgegnete Ferocius während er mit langen ruhigen Schritten durch den Saal zum Thronsessel schritt.
»Ein Aufstand? Ihr habt die Lage doch unter Kontrolle, oder?« Der König schaute sein Gegenüber vertrauensvoll an. Wie ein Kind, schoss es dem Fürsten durch den Kopf. Wie der kleine Junge, den die Elfen vor nunmehr dreihundert Jahren auf den Thron gehoben hatten, der eigentlich ihm selbst gebührt hätte.
»Oh ja, ich habe die Lage vollständig unter Kontrolle.« Ferocius gestattete sich ein schmales Grinsen, das seine Züge noch fratzenhafter wirken ließ. »Und jetzt, mein König, wird es Zeit für Euch zu gehen. Denn nun ist der Moment gekommen, da ich erhalte, was mir von Anfang an zugestanden hat. Von heute an werde ich auf diesem Thron sitzen und die Geschicke des Elfenvolks lenken. Und du, mein König, wirst sterben. Denn du hättest bereits sterben sollen, bevor du das Licht der Welt erblickt hast.«
Ferocius hatte seine Stimme nur leicht erhoben, doch die Wirkung, die seine Worte auf den König hatten, war überwältigend. Der Ausdruck auf Livians Gesicht wechselte von Unverständnis zu Begreifen und von Begreifen zu Fassungslosigkeit.
»Aber, Ferocius«, stammelte er. Dann sammelte er sich, richtete sich gerade auf und funkelte den Schattenfürsten wütend an. »Du willst mich töten? Gut, dann soll es wohl so sein. Deine magischen Kräfte sind den meinen weit überlegen. Und ich werde mich nicht demütigen und mit dir kämpfen.«
König Livian erhob sich vom Thronsessel und baute sich vor seinem Widersacher auf. Seine Haltung wirkte majestätisch und noch immer lag ein zorniges Funkeln in seinen Augen. Seine Stimme war fest und kalt. »Dumm war ich, dir zu vertrauen. So dumm, dass es vielleicht nur gerecht ist, wenn ich mit meinem Leben dafür bezahlen muss. Doch dein hinterhältiger Plan wird nicht aufgehen. Mein Sohn hat Anspruch auf diesen Thron. Wenn du mich tötest, wird Erin die Geschicke unseres Volkes lenken. Erin wird ein guter Elfenkönig sein. Und nicht du. Niemals du.«
Mit seinem langen, schmalen Finger stieß Livian Ferocius so fest gegen die Brust, dass dieser einen Schritt zurücktaumelte. Der Schattenfürst lachte nur heiser.
»Erin, ein Elfenkönig«, sagte er spöttisch. »Daraus wird nichts werden, mein König. Denn Erin ist nicht einmal ein Elf.«
»Was …?« Wieder spiegelte sich Unverständnis auf Livians Gesicht.
»Du hattest eine Tochter, mein König«, fuhr Ferocius unbarmherzig fort. »Ganz wie es das Orakel vorausgesagt hat. Doch dass es sich erfüllt, konnte ich natürlich nicht riskieren. Deshalb ließ ich das Kind austauschen. Gegen einen Menschensohn. Ein Junge und dazu noch von menschlicher Abstammung. Damit konnte ich sicher sein, dass er mir nie gefährlich werden würde.«
»Aber die Menschen sind tot, ihre Welt vernichtet«, wandte der Elfenkönig matt ein.
»Nicht doch. Das war eine Lüge«, erwiderte Ferocius leichthin. »Indem ich dich und das Volk der Lichtelfen ins Dunkle Reich gelockt habe, konnte ich sichergehen, dass deine Untertanen zu schwach sein würden, um sich zu widersetzen, wenn ich die Macht im Reich übernehme. Eine geniale Idee, das musst du zugeben! Außerdem hatte ich hier eine ganze Armee williger Helfer. Die Dunkelelfen können es gar nicht abwarten, endlich die privilegierte Schicht im Elfenreich zu werden.«
Ferocius lachte erneut, als Livian vor seinen Worten zurückwich wie vor einer Waffe, das Gesicht schmerzverzerrt und die Schultern gebeugt.
»Ich habe eine Tochter«, flüsterte der Elfenkönig. »Wo ist sie?«
»Sie befindet sich inzwischen in sicherem Gewahrsam und wird mir garantiert nicht in die Quere kommen. Töten konnte ich sie ja leider nicht. Das Orakel, du weißt. Ein Problem, das ich mit dir zum Glück nicht habe.«
Er trat neben den König, der wieder auf dem Thronsessel saß, gänzlich in sich zusammengesunken, und legte ihm mit einer fast väterlichen Geste die Hand auf die Schulter.
»Sieh mich an, mein König«, forderte Ferocius mit unverhülltem Hass, »und sag: Auf Nimmerwiedersehen.«
Trotzig erhob Livian den Blick zu seinem einstmals engsten Berater und griff sich augenblicklich an die Kehle. Panik verzerrte seine Züge, als er hilflos nach Luft rang. Sein Mund öffnete sich zu einem stummen Schrei, seine Augen quollen
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