Elfenblick
Mutter war ein ganz besonderes Mädchen«, fuhr er schließlich doch fort. »Weißt du, dass du mich oft an sie erinnerst?«
Mageli runzelte die Stirn. Bloß nicht!
»Sie war nämlich mindestens genauso dickköpfig wie du.« Jetzt grinste Jost wieder. »Und genauso schwierig. Und genauso zickig. Und fast genauso hübsch. Aber natürlich nicht ganz. Und auch mehr der dunkle Typ. Aber das weißt du ja.«
Mageli fragte sich, ob sie von derselben Frau redeten. Aber Jost fuhr unbeirrt fort.
»Sie war sechzehn, als wir uns ineinander verliebt haben, ich war gerade achtzehn geworden. Sie stammte aus gutem Hause. Du hast deine Großeltern ja nicht kennengelernt, aber die waren schon ein ganz besonderes Kaliber. Dein Großvater besaß ein eigenes Unternehmen, Baumaschinen stellte er her, und hatte richtig viel Geld. Sie wollten natürlich nicht, dass deine Mutter sich mit mir abgab. Ein einfacher Schreinerlehrling war ich damals. Das passte ihnen nicht. Aber deiner Mutter war das ganz egal.
Sie ist ständig von zu Hause abgehauen und wir haben uns die Nächte um die Ohren geschlagen. Ganz frühmorgens ist sie dann durchs Kellerfenster wieder in die Villa ihrer Eltern eingestiegen, hat sich ins Bett gelegt und so getan, als hätte sie dort die ganze Nacht verbracht. Ich weiß nicht, ob deine Großmutter nie die dunklen Ringe unter ihren Augen bemerkt hat. Als Linda achtzehn war, haben wir geheiratet. Ihr Vater hat getobt. Natürlich sind sie nicht zur Hochzeit erschienen und haben den Kontakt zu ihrer einzigen Tochter abgebrochen. Ich glaube, das hat deine Mutter nicht verwunden, auch wenn sie immer das Gegenteil behauptet hat. Anders kann ich mir jedenfalls nicht erklären, warum sie sich in den folgenden Jahren so verändert hat. Nach und nach ist sie immer stärker das Abbild ihrer eigenen Mutter geworden. Als du unterwegs warst, hat sie insgeheim gehofft, sie könnte ihrem Vater einen Erben präsentieren und sich so mit ihm aussöhnen. Sie hat es nie so gesagt, aber ich habe es gespürt. Als Junior später zur Welt kam, war es ja schon zu spät, da waren ihre beiden Eltern tot. Sie sind beide früh gestorben, er an einem Herzinfarkt und deine Großmutter kurz darauf an Krebs.«
»Das hast du mir alles nie erzählt«, warf Mageli ein. Aber er schien sie gar nicht gehört zu haben.
»Deine Mutter ist eine gute Frau. Schon allein, wie sie das alles managt mit euch und dem Haus, obwohl ich kaum da bin.« Jost machte eine Pause und schien seinen Gedanken nachzuhängen. Dann lächelte er Mageli an. »Und außerdem hat sie mir das schönste Geschenk meines Lebens gemacht«, sagte er und stupste seine Tochter mit dem Finger auf die Nase. Mageli lächelte gequält.
»Ja, sicher, Paps. Soll ich mir ein Schleifchen umbinden?«
»Nicht nötig. Ich nehm dich auch ohne.«
Jost stand auf, die Kakaotasse noch immer in der Hand. Das Gespräch war für ihn beendet. Ihre Frage hatte er gar nicht beantwortet, stellte Mageli fest. Aber egal, sie hatte trotzdem ein paar interessante Details erfahren.
»Kommst du mit nach Hause? Ich beschütze dich auch vor dem Mutterdrachen«, scherzte Jost.
Mageli schüttelte den Kopf. Ihr war wieder eingefallen, worüber sie vorhin nachgegrübelt hatte. Und nachdem sie die Tränen mit heißem Kakao heruntergespült hatte, setzte sich jetzt ihre Neugier durch.
»Ich muss noch was im Internet nachgucken«, erklärte sie Jost.
Der war schon bei seinen Taschen angelangt und schob sie ein Stück zur Seite. Die würde er dann wohl morgen auspacken.
»Okay, du weißt ja, wie alles funktioniert. Aber mach nicht zu lang. Und schließ nachher ab, denk dran.«
Mageli winkte ihm auffordernd zu.
»Hab dich lieb, Paps.«
»Ich dich auch, Katastrophenengel.«
Der Computer brauchte mal wieder ewig, um hochzufahren. Mageli klopfte nervös mit ihren Fingern auf der Schreibtischplatte herum. Als sich endlich auch das Internet geöffnet hatte, tippte sie hastig die Adresse einer Suchmaschine in die oberste Leiste. Sie wusste selbst nicht, warum sie es auf einmal so eilig hatte, aber nach dem Gespräch mit Jost war ihr Kopf seltsam frei und gleichzeitig schwirrten Hunderte verwirrende Gedanken darin herum. Und sie hatte das unbestimmte Gefühl, dass sie auf einer wichtigen Spur war.
Das Fenster der Suchmaschine öffnete sich, und Mageli gab den Begriff ein, der ihr nicht mehr aus dem Kopf ging: Wechselbalg . Der Mittelfinger ihrer rechten Hand schwebte über der Enter-Taste. Mit einer schnellen Bewegung tippte
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