Elfenblick
sich Mageli. Sie fühlte sich auf einmal voller Energie. Die Schmerzen waren ebenso verschwunden wie ihre zahlreichen Verletzungen, stellte sie erstaunt fest. Keine Schrammen, keine Kratzer, keine Wunden, nicht einmal mehr blaue Flecken. Wie lange hatte sie bewusstlos hier gelegen? Es musste doch Wochen dauern, bis derartige Wunden heilten. Mist! Wochen verschwendeter Zeit! Wie es wohl Erin inzwischen ging? Hoffentlich kam sie nicht längst zu spät.
Sie wollte los, sie musste Erin suchen! Allerdings gab es da noch ein Problem: Irgendjemand hatte ihr, während sie bewusstlos gewesen war, ihre verdreckten, zerrissenen Kleider ausgezogen, ihren Körper gewaschen und sie in ein weißes, wallendes Nachthemd gesteckt. Der Stoff war wunderbar weich und schmiegte sich so perfekt an, dass sie ihn kaum spürte, aber leider war er auch ziemlich durchsichtig. Das war ganz sicher nicht das geeignete Outfit, um nach draußen zu gehen und einen Elfenprinzen zu retten! Sie musste schleunigst zusehen, dass sie ihre eigenen Sachen zurückbekam.
Mageli schaute sich nach ihrem Rucksack um – und nahm dabei zum ersten Mal das Zimmer richtig wahr, in dem sie sich befand: Der Raum war rund geschnitten und nicht groß, die sparsame Möblierung bestand aus der dünnen, aber bequemen Matte, die Magelis Lager gewesen war, und einem breiten Holzschemel, auf dem eine flache Schale und ein Krug aus Ton standen. Die Schale war mit getrockneten Moosen gefüllt, die einen belebenden Duft verströmten.
Ansonsten war der Raum leer. Dennoch wirkte er behaglich. Das lag vermutlich an den wunderschönen Mustern, die das hölzerne Geflecht der Wände schmückten: Die verschlungenen Kreise und Wellenlinien sahen aus wie eine natürliche Tapete. Nach oben hin war der Raum nicht durch eine normale Decke begrenzt, vielmehr liefen die vielen Wurzeln in luftiger Höhe zu einer spitzen Kuppel zusammen, sodass der gesamte Raum die Form eines riesigen Tropfens hatte. Den Kopf in den Nacken gelegt, drehte Mageli sich mehrmals um sich selbst und staunte.
»Entschuldige, wenn ich dich störe …«
Mageli taumelte und wäre beinahe gegen einen jungen Mann gestolpert, der so leise eingetreten war, dass sie ihn nicht gehört hatte. Sein Gesicht war schmal, seine Züge ebenmäßig und sein hellbraunes Haar hing ihm in wirren Locken auf die Schultern. Magelis Mund blieb offen stehen. Der Mann funkelte sie mit jadegrünen Augen freundlich an; es wirkte, als ob er lächelte, obgleich er den Mund dabei nicht verzog. Mageli zwang ihre Kinnlade wieder nach oben.
Ich muss mich endlich daran gewöhnen, dass Elfen verdammt gut aussehen!
»Rikjana sagte mir, dass es dir besser geht. Da wollte ich nach dir schauen.« Der Fremde schien zu erwarten, dass Mageli wusste, wer er war. Aber sie hatte keine Ahnung.
»Sollte ich dich kennen?«, fragte sie unsicher.
»Ich dachte mir schon, dass du dich nicht erinnern würdest.« Der Elf lächelte wieder mit seinen schönen Augen. »Ich bin Ondulas, ich habe dich hierhergebracht.«
»Du hast mich hierhergebracht?«, echote Mageli. »Aber warum?«
»Nun, als ich dich gefunden habe, sahst du nicht aus, als ob du den Weg alleine schaffen würdest«, erwiderte Ondulas amüsiert. »Und ich helfe gerne schönen Frauen in Not.« Ernster fügte er hinzu: »Außerdem trugst du ein Amulett mit unserem Zeichen, und ich war neugierig, woher du es hattest.«
Unser Zeichen? Mageli verstand nicht, traute sich aber auch nicht nachzufragen. Rikjanas Verhalten hatte sie zu sehr verunsichert.
Sie betrachtete den Elfen aufmerksam. Er war etwa einen Kopf größer als sie und unter seinem hellen Hemd zeichneten sich seine Muskeln ab. Die weiten braunen Hosen steckten in kniehohen Lederstiefeln. Über dem Hemd trug er einen Gürtel mit einer kunstvoll gearbeiteten silbernen Schnalle und am rechten Handgelenk einen breiten Armreif, der mit einem großen, grünen Edelstein verziert war. Mageli sah, dass sich um diesen Edelstein ebenfalls zwei Hände verschränkten, genau wie auf dem Amulett. Unser Zeichen …
Seine Erscheinung erinnerte Mageli an Erin und sie spürte einen heftigen Stich in der Brust. Im selben Moment erinnerte sie sich, was sie selbst trug. Sie riss die dünne Decke vom Bett und legte sie sich um die Schultern.
»Möchtest du vielleicht deine Sachen wiederhaben?«, fragte Ondulas und das Funkeln seiner Augen erschien Mageli etwas schelmisch. »Ich habe sie mitgebracht.«
»Das wäre toll.« Mageli war erleichtert.
Der Elf
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