Elfenblut
umhergeirrt.« Sie registrierte, wie sich Bracks Gesichtsausdruck von beinahe zu echtem Entsetzen änderte, und erinnerte sich gerade noch daran, was er Alica und ihr über die Geografie dieses Landes erzählt hatte. »Ein paarmal haben wir Menschen gesehen, aber wir haben es nicht gewagt, uns ihnen zu zeigen.«
»Warum?«, fragte Istvan.
»Sie waren … unheimlich«, antwortete Pia zögernd und bemühte sich um ein angemessenes Schaudern. »Ich glaube, es waren Wilde. Schreckliche Gestalten in Fellen und mit Waffen.«
Istvan blickte an sich selbst hinab, genauer gesagt auf den schweren Fellmantel, den er sich um die Schultern geschlungen hatte, und den breiten Ledergürtel, aus dem der reich verzierte Griff eines Schwertes ragte. »Dann wart ihr sehr klug, euch ihnen nicht zu zeigen«, sagte er. »Manche dieser Barbarenstämme sind nicht unbedingt für ihre Gastfreundschaft berühmt.« Pia konnte nicht sagen, ob er ihr diese improvisierte Ausrede glaubte oder nicht. Er forderte sie nur mit einer Geste auf, weiterzusprechen.
»Wir sind tagelang umhergeirrt, bis wir schließlich Eure Stadt aus der Ferne gesehen haben. Viel länger«, fügte sie mit einem neuerlichen und noch übertriebeneren Schaudern hinzu, »hätten wir es wahrscheinlich nicht ausgehalten. Euer Land ist kalt. Jedenfalls für unsere Begriffe.«
Brack signalisierte ihr ein Nicken mit den Augen. Gut .
Oder auch nicht. »Wenn eure Heimat so weit entfernt ist und ihr so rein gar nichts über uns wisst, wieso sprichst du dann unsere Sprache so gut?«, fragte Istvan in beinahe harmlosem Tonfall.
»Weil es auch unsere Sprache ist«, antwortete Pia. »Alica hier stammt nicht aus unserem Land. Sie war Sklavin im Haus meiner Mutter.«
Alicas Augen schossen unsichtbare Blitze deutlich über der Hunderttausend-Volt-Marke in ihre Richtung, aber sie sagte nichts. Pia bedankte sich im Stillen dafür, breitete sich aber ebenso lautlos auf das vor, was Alica sagen würde, sobald sie wieder allein waren. Istvan sah sie jetzt eindeutig ungeduldig an, doch gerade als Pia weitersprechen wollte (genauer gesagt: sich noch den Kopf zerbrach, was sie wohl als Nächstes sagen sollte), ging die Tür auf und niemand anderes als Brasil kam herein. Er trug den linken Arm in einer schmuddeligen Schlinge, und die ebenfalls linke Hälfte seines Gesichtes sah aus, als wäre er gegen einen Brückenpfeiler gerannt. Mehrmals.
Alica riss die Augen auf und sprang so hastig in die Höhe, dass ihr Schemel umfiel, und Pias Hand zuckte unwillkürlich zu der Pistole, die sie unter ihrem Umhang im Hosenbund trug. Istvan blinzelte. Die beiden Wächter, die die Tür flankierten, maßen Brasil mit allerhöchstens gelindem Interesse, und auch Brasil selbst reagierte vollkommen anders, als Pia es erwartet hätte. Er stockte zwar für einen Moment im Schritt, als er sie erblickte, machte dann aber nur ein finsteres Gesicht und schlurfte zu demselben Tisch, an dem er heute Morgen gesessen und gefrühstückt hatte.
»Setz dich wieder, Mädchen«, sagte Brack, an Alica gewandt.
Alica schien seine Worte gar nicht gehört zu haben, und wenn, ignorierte sie sie. Sie trat nur einen weiteren Schritt vom Tisch zurück und spannte sich sichtbar an. »Das ist …«
Brack wiederholte seine Geste, sich wieder zu setzen. Er wandte sich direkt an Pia. »Sag deiner Freundin, sie soll sich setzen. Es ist alles in Ordnung.«
»So?«
Brack setzte zu einer weiteren Erklärung an, drehte sich stattdessen jedoch schnaubend auf seinem Schemel herum, warf Brasil einen raschen, aber eindeutig mahnenden Blick zu und wandte sich dann an Istvan. »Wie Ihr seht, sie sind mit unseren Sitten und Gebräuchen wirklich nicht vertraut.«
»Gehört es zu Euren Sitten und Gebräuchen, dass sich die Gäste gegenseitig überfallen und ausrauben?«, fragte Pia. Die Worte taten ihr fast sofort wieder leid, denn Brack starrte sie regelrecht entsetzt an, und auch Istvans Miene verdüsterte sich.
»Natürlich nicht«, sagte er. »Brack hat mir auf dem Weg hierher erzählt, was passiert ist.«
»Dann wisst Ihr auch, dass dieser Mann versucht hat, meine Freundin und mich zu überfallen«, antwortete Pia. Sie hatte mit jeder Sekunde mehr das Gefühl, dass es besser wäre, jetzt vielleicht gar nichts mehr zu sagen, aber sie konnte die Worte auch nicht zurückhalten. Brasil musterte sie über die Entfernung finster aus einem gesunden und einem fast zur Gänze zugeschwollenen Auge, in denen die blanke Mordlust loderte.
»Aber
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