Elfenblut
Pia.
»Und wovon«, fragte Alica, »sollen wir jetzt leben?« Sie schien zumindest eine der örtlichen Gewohnheiten bereits angenommen zu haben, nämlich die, Fragen zu stellen und sie auch gleich selbst zu beantworten. »Wir könnten natürlich einen kleinen Ausflug nach draußen machen und darauf hoffen, dass ein weiterer Blödmann auf die Idee kommt, uns zu überfallen. Scheint sich ja zu lohnen.« Sie machte ein noch ärgerlicheres Geräusch. »Nur falls es dir nicht aufgefallen ist, Süße – wir sind jetzt pleite.«
Bevor Pia antworten konnte, kam Brack zurück. Er wirkte gleichermaßen erschrocken wie zornig.
»Was hast du getan?«, wandte er sich an Alica.
Alica sah ihn an, lächelte und hob dann in einer perfekt geschauspielerten Ich-verstehe-dich-leider-nicht-Geste die Schultern. Brack wirkte nur noch zorniger.
»Schon gut«, sagte Pia hastig. »Ich rede mit ihr.«
»Ach?«, fragte Alica harmlos. »Worüber?«
»Das würde ich dir auch raten«, sagte Brack aufgebracht. »Du hast Istvan gehört. Er ist für die Sicherheit hier in WeißWald verantwortlich, und er nimmt diese Aufgabe sehr ernst.«
»Und er ist nicht unbedingt dein Freund«, vermutete Pia.
»Istvan ist niemandes Freund«, antwortete Brack. »Nicht einmal sein eigener. Dass er euch gestattet, vorerst hierzubleiben, ist schon beinahe mehr, als ich erwartet habe. Und er hat dir nicht geglaubt.«
»Die Geschichte von meiner Heimat?«, vermutete Pia.
»Kein Wort«, bestätigte Brack. »Danke Kronn dafür, dass er nicht weiß, wo ich euch vorhin aufgegriffen habe. Wenn er es erfährt, findet ihr euch schneller im Kerker wieder, als ihr euch das nur vorstellen könnt.«
»Der Turm des Hochkönigs? Ich wusste nicht, dass es verboten ist, dorthin zu gehen.«
»Das ist es auch nicht«, sagte Brack. »Aber niemand geht dorthin. Es ist ein schlechter Ort. Die Menschen fürchten ihn. Istvan könnte auf falsche Gedanken kommen, wenn er erfährt, dass ihr euch dafür interessiert.«
»Wir sind fremd hier«, erinnerte Pia. »Wir interessieren uns für alles.«
Aus irgendeinem Grund schienen diese Worte Brack eher zu erschrecken, statt zu beruhigen. »Und das solltet ihr noch viel weniger sagen.« Er machte eine Bewegung, wie um sich zu setzen, überlegte es sich dann anders und trat lediglich auf die andere Seite des Tisches, weiter weg vom Kamin, dessen Wärme ihm offensichtlich unangenehm war. »Ihr habt Istvan gehört. Ihr seid jetzt meine Gäste, und damit bin ich für euch verantwortlich. Für alles, was ihr tut oder sagt. Wenn du mir also Schwierigkeiten machen willst, dann nur weiter so.«
Natürlich war das nichts anderes als ein durchsichtiger Versuch, an ihr schlechtes Gewissen zu appellieren, wie Pia sehr wohl begriff – aber er funktionierte. »Das liegt nicht in meiner Absicht.« Alica setzte schon wieder dazu an, etwas zu sagen, und Pia fuhr eine Spur lauter fort: »Vielleicht ist es das Beste, wenn Alica und ich jetzt auf unser Zimmer gehen und uns eine Weile beraten.«
»Beraten?«, fragte Alica. »Worüber?«
Pia ignorierte sie.
»Das ist vielleicht eine gute Idee«, sagte Brack. »Ich … muss auch über das eine oder andere nachdenken. Vielleicht ist es am besten, wenn ihr nach oben geht.« Sein Blick irrte zur Theke, genauer gesagt zu der Tür, die sich in den Schatten dahinter verbarg. Er versuchte, es sich nicht anmerken zu lassen, aber Pia entging seine Besorgnis keineswegs.
»Das passiert nicht noch einmal«, versprach sie. »Und was Brasil angeht …«
»Mach dir um diesen Dummkopf keine Sorgen«, unterbrach sie Brack. Er unterstrich seine Worte mit einer wegwerfenden Geste, die Pias Meinung nach ein bisschen zu überzeugt ausfiel. »Ich habe ihm klargemacht, dass es besser für ihn ist, wenn er diesen kleinen Zwischenfall … äh … vergisst. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ihm daran gelegen ist, wenn ganz WeißWald davon erfährt.«
Pia lächelte zwar flüchtig, dennoch war sie ziemlich sicher, dass Alica draußen auf dem Hof gerade nicht nur Brasil mit Füßen getreten hatte. Sie signalisierte Brack noch einmal mit einem stummen Blick, sich um die Angelegenheit zu kümmern, bedeutete Alica mit einer sehr viel unwilligeren Geste, vorauszugehen, und steuerte dann die Treppe an. Alica tat zwar ihr Möglichstes, um sie mit Blicken aufzuspießen, aber sie gehorchte ihr auch.
Bis sie ihr Zimmer im ersten Stockwerk erreicht hatten, hieß das. »Sklavin, wie?«, fauchte sie. Die Worte gingen beinahe in dem
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