Elfenblut
erkennen, dass Eirann sehr groß sein musste, nicht nur für einen Bewohner dieser Welt, sondern überhaupt; mindestens zwei Meter, wenn nicht mehr, und der spitze Silberhelm ließ ihn noch viel größer erscheinen, sodass er selbst auf dem monströsen schwarzen Thron noch beeindruckend wirkte. Er trug einen schweren Mantel, der seine Gestalt umfloss wie ein Paar riesiger schwarzer Fledermausflügel, und einen schimmernden Brustharnisch, in dem ein sich aufbäumendes geflügeltes Pferd eingraviert war. Quer über seinen Knien lag ein mindestens anderthalb Meter langes Breitschwert mit einem wuchtigen Goldgriff, dessen Klinge aus Kristall oder Glas zu bestehen schien.
»Eirann?«, murmelte sie.
In dem edlen Gesicht des Dunkelelfen regte sich kein Muskel, aber etwas änderte sich in seinem Blick. Bisher hatte er sie einfach nur angestarrt, jetzt erschien allmählich etwas wie Erkennen darin.
Und dann …
Zorn. Ein so abgrundtiefer, gnadenloser Hass, dass sie wie unter einem Hieb zurücktaumelte, eingehüllt in einen Mantel unsichtbarer verzehrender Kälte, als hätte der bloße Blick dieser uralten Augen jegliche Wärme und alles Leben in ihrer unmittelbaren Nähe ausgelöscht. Es war eine Gnadenlosigkeit, die die Grenzen des Vorstellbaren überstieg, und ein Hass, der ein Jahrtausend lang Zeit gehabt hatte, sich an sich selbst zu nähren. Alles drehte sich um sie. Angst explodierte wie eine eisige Flamme in ihrem Herzen und löschte auch das letzte bisschen Wärme aus, und es wurde noch schlimmer, als die flackernde Gestalt das Schwert vom Schoß nahm, aufstand und die freie Hand nach ihr ausstreckte. Diese steckte in einem schweren, mit silberfarbenem Metall verstärkten Handschuh und hatte so wenig Substanz wie der Rest der Gestalt, und doch wusste Pia, dass etwas ganz und gar Entsetzliches geschehen würde, wenn diese Hand sie berührte. Etwas, das tausendmal schrecklicher war als der Tod.
Mit einem Schrei prallte sie zurück, stolperte und stieß gegen einen tausend Jahre alten Tisch, der unter ihrem Anprall zu Staub zerfiel. Sie fiel, sprang wieder auf die Füße, noch bevor sich die jahrhundertealte Staubwolke ganz entfalten konnte, wirbelte auf dem Absatz herum und gewahrte eine Bewegung aus den Augenwinkeln, der sie mit einem blitzartigen Haken auswich. Etwas wie ein Schrei gellte in ihren Ohren, schrill und unmenschlich spitz und laut, dann packte eine Hand ihren Oberarm, und Pia reagierte ganz instinktiv, indem sie das dazugehörige Handgelenk ergriff und mit einem harten Ruck herumdrehte. Der Schrei klang jetzt eindeutig entsetzt und brach dann mit einem Japsen ab, als Lasar schwer auf dem Rücken aufschlug. Die linke Hand, die mit versteiftem Zeige- und Mittelfinger zu einem tödlichen Stich gegen seine Augen ausgeholt hatte, konnte sie gerade noch im letzten Moment zurückreißen.
»Lasar?«, murmelte sie erschrocken. »Aber was …« Pia hob mit einem Ruck den Kopf und starrte den Thron an. Er war leer, nur mit dem Staub eines Jahrtausends bedeckt. Sie war vollkommen allein. »… tust du denn hier?«
Lasar arbeitete sich stöhnend halb auf die Ellbogen hoch. Er hatte seine Fackel fallen gelassen, und das bisschen Licht, das es jetzt noch gab, reichte gerade aus, um seine Angst zu erkennen.
Es dauerte eine geschlagene Sekunde, bis Pia begriff, dass er nicht ihr Gesicht, sondern ihre linke Hand anstarrte, die noch immer wie zum tödlichen Stich erhoben war. Hastig und eindeutig schuldbewusst ließ sie den Arm sinken und fragte sich zugleich verblüfft, woher sie diesen ebenso tödlichen wie brutalen Schlag kannte; und vor allem, wieso sie so ganz instinktiv dazu angesetzt hatte, ihn zu führen.
»Habe ich dir wehgetan?« Was für eine blöde Frage.
»Nein«, log Lasar. »Alles in Ordnung.« Was ihn allerdings nicht daran hinderte, sich von ihr aufhelfen zu lassen. Er ließ es sogar zu, dass sie sich zuerst nach ihrer und dann seiner eigenen Fackel bückte und ihm die deutlich weiter heruntergebrannte reichte. Danach drehte sie sich einmal – sehr langsam – im Kreis und sah sich um. Die einzige Bewegung, die sie sah, war Staub, der im Fackelschein tanzte.
Keine Gespenster.
Kein Eirann.
»Ist alles in Ordnung?«, fragte Lasar.
Sollte sie nicht eigentlich ihm diese Frage stellen? »Mir geht es gut«, sagte sie. »Aber was tust du überhaupt hier? Wolltest du nicht unten in der Halle auf mich warten?« Weil du zu feige warst, mich zu begleiten?
»Ihr seid nicht … du bist nicht gekommen,
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