Elfenblut
Pia plötzlich Sorgen machte.
VIII
W ahrscheinlich war am nächsten Morgen niemand überraschter als sie selbst, das Kitzeln von Sonnenlicht im Gesicht zu fühlen und sich in einem breiten und überaus bequemen Bett wiederzufinden. Es war aus Holz und sichtbar alt, aber in sehr gutem Zustand. Vier schwere gedrechselte Säulen trugen einen ebenfalls hölzernen Baldachin, der mit kunstvollen Schnitzereien übersät und mit goldenen Bordüren und Troddeln verziert war. Die Bettwäsche war ein wenig rau und roch auch nicht mehr ganz frisch, und Kissen und Decke knisterten, als sie sich bewegte, und schienen mit Stroh gefüllt zu sein. Vorsichtig drehte sie den Kopf und blickte in Alicas Gesicht. Die Schminke war verlaufen, und es wirkte teigig und ein bisschen aufgedunsen.
Also hatte sie doch nicht geträumt. Und wenn, dann schlecht.
Pia war immer noch nicht ganz sicher, was sie von dieser Erkenntnis halten sollte, und sie hätte am liebsten die Augen geschlossen und weitergeschlafen, um es später noch einmal zu versuchen. Vielleicht wachte sie das nächste Mal ja wirklich auf.
Unglückseligerweise funktionierte es nicht. Das Sonnenlicht, das durch die schmalen Fenster hereinfiel – und selbstverständlich so gezielt wie ein Laserspot in einer Diskothek genau in ihr Gesicht hämmerte –, bestand darauf, dass es heller Tag war, und das Bier vom vergangenen Abend machte sich bemerkbar. Widerwillig schlug sie die Augen zum zweiten Mal auf, fand sich noch immer in derselben und nach wie vor unmöglichen Umgebung wieder und schlug die raschelnde Decke zur Seite. Alica grunzte im Schlaf, drehte sich auf die andere Seite und begann lautstark zu schnarchen, und Pia sah sich ohne große Hoffnung im Zimmer um. Genau wie Brack behauptet hatte, war es groß und in einigermaßen sauberem Zustand, dennoch aber Lichtjahre von einem Vier-Sterne-All-inclusive-Hotel entfernt. Kein Satellitenfernsehen, keine Minibar. Und auch kein Bad.
Achselzuckend verließ sie das Zimmer, bedachte die anderen Türen auf dem Flur mit einem nachdenklichen Blick und schlurfte dann mit hängenden Schultern die Treppe hinunter. Geschäftige Geräusche und ein schrecklich unmelodisches Pfeifen zeigten ihr, dass sie nicht die Erste war, die die Sonne an diesem Morgen geweckt hatte. Brack stand hinter seiner improvisierten Theke, die bei Tageslicht betrachtet noch viel improvisierter aussah, tat irgendetwas mit dem Besteck, mit dem sie gestern Abend gegessen hatten, und zog überrascht die Augenbrauen hoch, als er sie erblickte.
»Holla!«, sagte er aufgeräumt. Wenn sie bedachte, dass es deutlich nach drei gewesen sein musste, als Alica und sie endlich nach oben gewankt waren, war er von geradezu unverschämt guter Laune. »Du bist ja schon wach.«
»Alica hat gestern Abend versucht, deine Biervorräte auszutrinken«, erinnerte Pia. »Nicht ich. Außerdem … also, ich suche …«
»Gleich hinter dem Haus.« Brack machte eine Kopfbewegung hinter sich. »Kannst es gar nicht verfehlen. Geh einfach dem Geruch nach.«
Pia lachte unecht und schlurfte an ihm vorbei, und wie sich zeigte, hatte Brack ganz und gar nicht gescherzt. Fünf Minuten später und mit einer radikal veränderten Einstellung zu den Segnungen der technischen Zivilisation – vor allem, was moderne Hygieneeinrichtungen anging – kehrte sie in ihr Zimmer zurück und versetzte dem Bett einen wuchtigen Tritt, der das uralte Möbelstück nicht nur protestierend in allen Fugen ächzen, sondern auch Alicas Kopf mit einem Ruck in die Höhe schießen ließ.
»He!«, beschwerte sie sich. »Was fällt dir …« Sie zog eine Grimasse, setzte sich sehr viel vorsichtiger ganz auf und betastete beide Schläfen mit den Fingerspitzen.
»Kopfschmerzen?«, fragte Pia scheinheilig.
Alica schenkte ihr einen bösen Blick und schauderte übertrieben, als ihre nackten Fußsohlen den Boden berührten. Brack hatte zwar behauptet, dass das Zimmer warm sei, aber das bezog sich offenbar nicht auf den Fußboden.
»Wo ist denn hier …?«, begann Alica.
»Treppe runter«, sagte Pia. »Hinter der Theke und dann immer der Nase nach.«
Alica zog eine Grimasse, aber sie sparte sich jeden Kommentar und schlich wortlos aus dem Zimmer, und Pia wandte sich mit einem lautlosen Seufzen ab, um ans Fenster zu treten. Es war kaum so breit wie zwei nebeneinandergelegte Hände, aber sehr hoch, und was sie ganz automatisch für Glas gehalten hatte, stellte sich bei genauerem Hinsehen als eine Art durchsichtiges, aber recht
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