Elfenherz
niedrige Empfinden muss er erkannt haben - warum hätte er sonst ausgerechnet mich zum Vollstrecker seines Todes erwählt?«
Val wusste nicht, was sie sagen sollte. In Gedanken bildete sie Sätze wie Es war nicht deine Schuld. Jeder hat schreckliche, selbstsüchtige Gedanken. Es war bestimmt ein Unfall. Keiner dieser Sätze bedeutete wirklich etwas. Es waren nur Worte, damit es nicht so furchtbar still war. Erst als er weiterredete, wurde ihr klar, wie lange sie im Kopf mit sich gerungen hatte.
»Der Tod hat im Elfenland keinen guten Ruf.« Er lachte betrübt. »Als ich nach Tamsons Tod sagte, ich würde in die Stadt gehen, ins Exil, war es ihnen recht. Sie machten mich nicht wirklich für seinen Tod verantwortlich, aber er hing mir an.
Silarial, die Königin des Seligen Hofes, befahl Mabry, mich zu begleiten, damit wir zusammen trauern konnten. Auch an ihr haftete der Gestank des Todes, der die anderen Elfen abstieß. So musste sie mit mir gehen, mit dem Mörder ihres Geliebten, und sie muss hierbleiben, bis ich die Zeit meines selbst auferlegten Exils hinter mich gebracht habe oder sterbe.«
»Schrecklich«, sagte Val. Sein Schweigen bedeutete ihr, wie dumm und unangebracht dieses Wort war. »Ich meine, natürlich ist es schrecklich, aber ich dachte vor allem daran, dass sie mit dir weggeschickt wurde. Das ist grausam.«
Er schnaubte, es war beinahe ein Lachen. »Ich würde mir selbst das Herz rausschneiden, wenn nur Tamsons noch ein einziges Mal schlagen würde. Nur einen Augenblick. Mir wäre kein Urteil zu hart vorgekommen. Aber Strafe und
Verbannung zusätzlich zu ihrer Trauer müssen fast unerträglich für sie gewesen sein.«
»Wie ist es denn hier? Ich meine, als Verbannter in dieser Stadt?«
»Ich finde es schwierig. Bei diesem ewigen Gestank, diesem ohrenbetäubenden Lärm, kann ich mich kaum konzentrieren. Überall ist Gift und immer ist Eisen in der Nähe. Davon juckt meine Haut und meine Kehle brennt. Wie Mabry sich fühlt, kann ich mir nur vorstellen.«
Val streckte eine Hand nach ihm aus und er nahm sie. Er strich mit den Fingern über ihre Schwielen. Sie schaute hoch in sein Gesicht, um ihm ihr Mitgefühl zu zeigen, aber er sah konzentriert auf ihre Hand.
»Woher hast du die denn?«, fragte er.
»Was?«
»Deine Hände sind rau«, sagte er. »Schwielig.«
»Lacrosse«, erwiderte sie.
Er nickte, aber sie sah seiner Miene an, dass er sie nicht verstand. Sie hätte sonst was sagen können und er hätte genauso genickt.
»Du hast die Hände eines Ritters«, sagte er schließlich und ließ sie los.
Val rieb ihre Haut. Ob sie dadurch die Erinnerung an seine Berührung vertreiben oder bewahren wollte, konnte sie nicht sagen.
»Es wäre nicht mehr sicher für dich, wenn du weiter liefern würdest.« Ravus ging zu einem der vielen Schränke und holte ein Gefäß heraus, in dem ein Schmetterling
flatterte. Dann zog er eine winzige Papierrolle hervor und schrieb in seiner Miniaturschrift etwas darauf. »Ich schulde dir mehr, als ich zunächst zurückzahlen kann. Immerhin kann ich dein Versprechen, mir zu dienen, zurücknehmen. Das ist das Mindeste.«
Sie schaute zu der Wand, an der das Glasschwert hing. Es schimmerte in der Düsternis, selbst fast so dunkel wie die Wand dahinter. Sie erinnerte sich daran, wie sie das Rohr festgehalten hatte, an diesen Adrenalinrausch und den klaren Sinn, den sie auf dem Lacrossefeld oder bei einem Ringkampf empfand.
»Ich möchte aber weiter Botengänge für dich erledigen«, sagte Val. »Und ich weiß, womit du dich revanchieren kannst, aber vielleicht möchtest du nicht. Zeige mir, wie man mit dem Schwert umgeht.«
Er hob den Blick von dem Papierchen, das er gerade zusammenrollte und am Bein des Schmetterlings befestigte. »Dieses zu können, hat mir wenig Freude bereitet.«
Sie wartete, schweigend. Er hatte nicht Nein gesagt.
Ravus beendete sein Werk und pustete das kleine Insekt in die Luft. Es flog erst taumelnd, vielleicht durch die Schriftrolle aus dem Gleichgewicht gebracht. »Willst du jemanden umbringen? Wen denn? Greyan? Willst du vielleicht sterben?«
Val schüttelte den Kopf. »Ich möchte einfach wissen, wie es geht. Ich möchte es gerne können.«
Der Troll nickte zögernd. »Wenn du es wünschst. Ich stehe in deiner Schuld und du hast das Recht zu fragen.«
»Heißt das, du bringst es mir bei?«, fragte Val.
Ravus nickte noch einmal. »Ich werde dich so fürchterlich machen, wie du sein willst.«
»Ich will nicht...«, setzte sie an,
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