Elfenherz
den vertrauten Patschuliduft seines Rasierwassers. Sie ließ sich darin fallen, überwältigt von dem Gefühl, wieder zu Hause zu sein und nichts von alldem erlebt zu haben.
Der Tom über ihr seufzte, vielleicht vor Erleichterung, und steckte ihr die Hände unter das T-Shirt. »Ich wusste, dass du einsam bist.«
»Bin ich nicht«, widersprach Val automatisch und wich zurück. Sie wusste nicht, ob sie log oder nicht. War sie einsam? Sie dachte an die Elfen und ihre Unfähigkeit zu lügen. Aber was taten sie, wenn sie die Wahrheit nicht kannten?
Während sie an Elfen dachte, wurde Toms Haut grün, sein Haar schwärzte sich und fiel ihm auf die Schultern, bis sie Ravus sah, Ravus’ lange Finger, die sie berührten, und seine brennenden Augen.
Sie war wie erstarrt, abgestoßen von ihrer eigenen Faszination. Die Neigung seines Kopfes war genau richtig, sein Blick forschend.
»Du willst mich nicht«, sagte sie, aber mit wem sprach sie eigentlich? Mit dem Bild von Ravus oder mit Dave?
Er legte seinen Mund auf ihren und sie spürte den Stich seiner Zähne an ihren Lippen und sie erschauerte vor Lust und Grauen.
Wie konnte es sein, dass sie das nicht gewusst hatte, jetzt, da sie sich nichts mehr wünschte als das? Sie wusste, dass es nicht wirklich Ravus war und dass es obszön war, so zu tun, aber sie ließ es trotzdem zu, dass er ihr die Jeans
herunterzog. Ihr Herz hämmerte, als wäre sie gerannt, als wäre sie in Gefahr, aber sie hob die Arme und strich mit den Fingern durch ölschwarzes Haar. Sein langer Körper glitt über sie, und sie packte seine Rückenmuskeln, konzentrierte sich auf die Mulde seiner Kehle, das funkelnde Gold in seinen Augen, während sie Daves Grunzen zu verdrängen suchte. Es war fast genug.
Als Ravus mit Val am nächsten Nachmittag eine Reihe von Schwertabfolgen übte, musterte sie sein verschlossenes, unnahbares Gesicht und verzweifelte. Vorher hatte sie vor sich selbst so tun können, als hätte sie keine Gefühle für ihn, aber jetzt war es, als hätte sie etwas probiert, nach dem sie nun hungerte, das sie aber nie bekommen würde.
Als sie die Brücke verließ, kam sie an der Endhaltestelle des »Dragon Bus« vorbei. Drei Prostituierte bibberten in ihren kurzen Röcken. Ein Mädchen in einem Mantel aus Ponyfellimitat ging lächelnd auf Val zu, drehte dann aber ab, als hätte sie gemerkt, dass Val kein Junge war.
Einen Block weiter wechselte sie die Straßenseite, um einem Mann mit Bart und Minirock aus dem Weg zu gehen, der in ausgelatschten Stiefeln ohne Schnürsenkel daherkam. Unter seinem Rock dampfte es, als er auf den Bürgersteig pinkelte.
Val schlug sich durch das Gewirr der Straßen bis zum Eingang des Tunnels. Als sie beinahe am Betonpark angekommen war, entdeckte sie Lolli, die sich mit einem
Mädchen stritt, das einen Monsterfellmantel und einen Rucksack mit Gummistacheln trug. Einen Augenblick lang hatte Val das seltsame Gefühl einer Bewusstseinsstörung. Das Mädchen kam ihr bekannt vor, aber es passte so überhaupt nicht dorthin, dass Val nicht wusste, wo sie sie hinstecken sollte.
Lolli hob den Blick. Das Mädchen drehte sich um und folgte ihrem Beispiel. Vor Überraschung riss sie den Mund auf. Sie setzte sich auf Plateaustiefeln in Bewegung; in den Armen hielt sie einen Mehlsack. Erst als Val sah, dass jemand ein Gesicht auf den Mehlsack gemalt hatte, begriff sie, dass sie Ruth gegenüberstand.
»Val?« Ruths Arms zuckte nach oben, als wollte sie die Hand nach Val ausstrecken, aber dann überlegte sie es sich anders. »Wow. Deine Haare. Du hättest mir sagen sollen, dass du sie abschneiden willst. Ich hätte dir geholfen.«
»Wie hast du mich gefunden?«, fragte Val dumpf.
»Über deine Freundin.« Ruth sah sich skeptisch zu Lolli um. »Sie ist an dein Handy gegangen.«
Val griff reflexartig nach ihrem Rucksack, obwohl sie wusste, dass ihr Handy nicht drin sein konnte.
»Ich hatte es ausgemacht.«
»Ich weiß. Ich hab tausendmal probiert, dich anzurufen, und deine Mailbox ist voll. Ich bin total ausgeflippt.«
Val nickte, unfähig etwas zu sagen. Sie war sich des eingetrockneten Drecks in ihrer Hose, der schwarzen Halbmonde unter ihren Fingernägeln und ihres stinkenden Körpers nur allzu bewusst. Wenn man sich immer nur auf
öffentlichen Toiletten wusch, ohne sich richtig auszuziehen, konnte es nicht wirklich besser werden.
»Guck mal«, sagte Ruth. »Der hier will dich kennenlernen.« Sie hielt ihr den Mehlsack hin. Die Augen waren mit dickem schwarzen
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