Elfenherz
Eyeliner aufgemalt und blauer Glitzernagellack zierte den kleinen Schmollmund. »Unser Baby. Also, es ist nicht einfach für ihn mit nur einer Mama, und für mich ist es auch nicht einfach, so alleinerziehend. In Bio musste ich die ganzen Arbeitsblätter allein ausfüllen.« Ruths Mund bebte, als sie Val anlächelte. »Es tut mir leid, dass ich so eine Arschkuh war. Ich hätte dir das mit Tom erzählen sollen. Ich wollte es doch, ungefähr eine Million Mal. Ich hab die Worte dann nur doch nicht rausgebracht.«
»Das ist nicht mehr wichtig«, sagte Val. »Tom ist mir egal.«
»Bitte«, sagte Ruth. »Es ist eiskalt. Können wir irgendwo reingehen? Nicht weit von hier habe ich einen Schaumteeladen gesehen.«
Es war eiskalt? Val hatte sich so daran gewöhnt, dass ihr ohne Nimmer immer kalt war, sie merkte schon gar nicht mehr, wie taub ihre Finger waren oder dass ihr Rückenmark sich anfühlte wie Eis. »Gut«, antwortete sie.
Lolli trug eine selbstgefällige Miene zur Schau. Sie zündete sich eine Zigarette an und blies zwei weiße Rauchschwaden aus ihren Nasenlöchern. »Ich sage Dave dann, dass du bald zurückkommst. Nicht dass er sich wegen seiner neuen Freundin Sorgen macht.«
»Was?« Einen Augenblick lang wusste Val nicht, was Lolli
meinte. Es kam ihr völlig unwirklich vor, dass sie mit Dave geschlafen hatte, so mitten in der Nacht, trunken von Nimmer und Schlaf.
»Er hat mir erzählt, dass ihr’s letzte Nacht getrieben habt.« Lolli hörte sich hochnäsig an, aber Dave hatte ihr offenbar nicht erzählt, dass Val dabei wie Lolli ausgesehen hatte. Das erfüllte Val mit beschämter Erleichterung.
Jetzt kapierte Val auch, warum Ruth hier war, warum Lolli ihr das Handy geklaut und das Ganze hier in Gang gebracht hatte. Als Bestrafung für Val.
Val fand, dass sie nichts anderes verdient hatte. »Es war nicht richtig wichtig, wir haben es nur so gemacht.« Val machte eine Pause. »Er wollte dich eifersüchtig machen.«
Lolli sah überrascht aus und dann plötzlich unsicher. »Es ist nur so, dass ich nicht gedacht hätte, dass du ihn so magst.«
Val zuckte die Achseln. »Bis später.«
»Wer war das?«, fragte Ruth, als sie zu dem Schaumteeladen gingen.
»Lolli«, erwiderte Val. »Sie ist in Ordnung, jedenfalls meistens. Ich penne bei ihr und ihren Freunden.«
Ruth nickte. »Du könntest nach Hause kommen, das weißt du. Du könntest bei mir wohnen.«
»Ich glaube kaum, dass deine Mom das schlucken würde.« Val drückte die Tür aus Holz und Glas auf und trat in den Duft von zuckriger Milch. Sie setzten sich hinten an einen Tisch und balancierten auf den schmalen Palisanderkisten, auf denen man hier sitzen sollte. Ruth trommelte
mit den Fingerspitzen auf den Glastisch, als lägen ihre Nerven direkt unter der Haut.
Als die Kellnerin kam, bestellten sie schwarzen Schaumtee, Toast mit Kondensmilch und Kokosbutter und Frühlingsrollen. Die Kellnerin starrte Val lange an, bevor sie dann doch ging. Als hätte sie überlegt, ob sie wohl zahlen würde.
Val holte tief Luft und widerstand der Versuchung, an der Haut an ihrem Finger zu knabbern. »Es ist so komisch, dass du hier bist.«
»Du siehst krank aus«, sagte Ruth. »Du bist zu dünn und deine Augen sehen verheerend aus.«
»Ich...«
Die Kellnerin brachte ihnen das Bestellte, woraufhin Val verstummte. Froh über die Ablenkung, stocherte sie mit dem dicken blauen Strohhalm in ihrem Getränk herum, saugte dicke, klebrige Tapioka-Kügelchen in ihren Mund und schlürfte süßen Tee. Was Val auch tat, es ging langsam. So schwer waren ihre Glieder, dass es schon anstrengend war, die Tapioka zu kauen.
»Ich weiß, gleich sagst du, dir geht’s gut«, sagte Ruth. »Sag mir aber vor allem, dass du mich nicht hasst.«
Val spürte, wie etwas in ihr aufflackerte; endlich konnte sie anfangen, die Dinge zu erklären. »Ich bin nicht mehr böse auf dich. Ich komme mir vor wie der letzte Idiot, und meine Mutter... ich kann einfach nicht zurückgehen. Jedenfalls jetzt noch nicht. Du brauchst gar nicht erst zu versuchen, mich zu bequatschen.«
»Wann gehst du dann zurück?«, fragte Ruth. »Wo ›wohnst‹ du denn?«
Val schüttelte nur den Kopf und steckte sich noch ein Stückchen Toast in den Mund. Er schien auf ihrer Zunge zu zergehen und war im Nu aufgegessen, ohne dass sie es gemerkt hatte. An einem anderen Tisch brach eine Gruppe Mädchen in Glitzerklamotten vor Lachen zusammen. Verärgert sahen zwei indonesische Männer zu ihnen hinüber.
»Wie hast du das
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