Elfenherz
findest.«
»Du dachtest, ich hätte sie umgebracht, stimmt’s?« Luis drehte ihr den Rücken zu.
»Klar habe ich das gedacht.« Val wusste, wie grausam sie war, aber die Worte strömten wie etwas Lebendiges über
ihre Lippen, wie Spinnen, Würmer und Käfer, die es nicht abwarten konnten, aus ihrem Mund zu krabbeln.
»Dein ganzes Geschwätz darüber, wie gefährlich Elfen sind, und dann, sieh an, werden sie mit Rattengift vergiftet. Und wenn du darauf gekommen wärst, dass Dave der Giftmörder ist, was hättest du dann gemacht? Hättest du wirklich versucht, ihn aufzuhalten?«
»Natürlich hätte ich das gemacht!«, fauchte Luis.
»Jetzt tu nicht so. Du kannst Elfen nicht ausstehen!«
»Ich habe Angst vor ihnen«, schrie Luis. Dann holte er tief Luft. »Mein Vater hatte das Zweite Gesicht und es hat ihn verrückt gemacht. Meine Mutter ist tot. Mein Bruder ist katatonisch. Ich bin siebzehn und bereits ein verdammter einäugiger Penner. Im Elfenland geht bestimmt nonstop Party ab.«
»Bitte, dann lass den Champagner knallen«, sagte Val und ging so nah an ihn heran, dass sie seine Körperwärme spürte. Sie machte eine schwungvolle Handbewegung durch den Raum. »Und schon wieder ist einer hinüber.«
»So hab ich das nicht gemeint.« Luis wich vor ihr zurück, das Sonnenlicht nahm seinem Gesicht die Farbe. Er ging zu Ravus, streckte die Hand aus, um den Stein zu berühren, und zog sie dann zurück, als wäre er kurz davor, sich zu verbrennen. »Ich weiß nur einfach nicht, was wir machen sollen.«
»Was glaubst du, wen soll Mabry vergiften, wenn es nach Silarial geht? Es muss jemand am Unseligen Hof sein.«
»Ravus nennt ihn den Hof der Nacht.«
Val ging zu der Karte, die Ravus an die Wand gehängt hatte. Außerhalb von New York City, weit weg von den anderen Giftmorden, steckten zwei weitere Stecknadeln mit schwarzem Kopf, eine im Norden des Staates New York, eine in New Jersey. Sie berührte die Nadel in Jersey. »Hier.«
»Und wen soll sie vergiften? Wir haben doch keine Ahnung.«
»Haben die nicht einen neuen König?«, fragte Val. »Mabry hat irgendwas über die Mittwinterwende gesagt. Könnte er nicht derjenige sein, den sie umbringen soll?«
»Was weiß ich?«
»Und selbst wenn er es nicht ist - auch egal. Alles, was wir wissen müssen, ist, wo sie ist.«
»Aber Menschen haben an den Höfen nichts zu suchen, schon gar nicht am Unseligen Hof. Sogar die meisten Elfen meiden ihn.«
»Wir müssen da hin, wir müssen Ravus’ Herz holen. Sonst stirbt er.«
»Und wie sollen wir das anstellen? Einfach hingehen und Bitte sagen?«
»So ungefähr«, erwiderte Val. Als sie aufstand, entdeckte sie neben Beinbrech und Hagebutte eine schmale Phiole mit Nimmer. Sie griff danach.
»Wofür ist das denn?«, fragte Luis, obwohl er es mit Sicherheit wusste.
Val musste an Dave denken, aber selbst die Erinnerung an seine bleiche Haut und seinen geschwärzten Mund konnte ihre Sehnsucht nach Nimmer nicht schmälern.
Vielleicht würde sie es brauchen. Sie brauchte es jetzt sofort. Ein Schuss, und all ihre Schmerzen wären vorbei.
Dennoch stopfte sie die Phiole in ihren Rucksack und fischte die Zugfahrkarten heraus, die sie vor Wochen gekauft hatte. Sie hielt sie Luis hin. Das Papier war so angegriffen von der Zeit in ihrem Rucksack, dass es sich in ihren Händen weich wie Stoff anfühlte, aber als Luis seine Fahrkarte nahm, ritzte das Ticket ihre Haut auf. Einen Augenblick lang schien die Haut zu überrascht, um zu bluten.
13
Unmittelbar nach den Ungeheuern
sterben die Helden.
ROBERTO CALASSO,
»DIE HOCHZEIT VON
KADMOS UND HARMONIA«
V al hockte sich kurz auf ihren Sitzplatz, ging dann aber nervös durch den Gang auf und ab. Jedes Mal wenn der Schaffner vorbeikam, fragte sie ihn, wie die nächste Haltestelle hieß, ob sie Verspätung hatten, ob es nicht schneller ginge. Er sagte Nein. Nach einem verstohlenen Blick auf ihr Schwert, das sie in eine schmutzige Decke gewickelt und mit Schnürsenkeln zugebunden hatte, eilte er weiter.
Val hatte ihm beim Einsteigen das Heft zeigen müssen, um zu beweisen, dass es rein dekorativen Zwecken diente. Schließlich war es nur aus Glas. Sie hatte erklärt, sie müsse es bei jemandem abliefern.
Luis sprach leise in Vals Handy, den Kopf zum Fenster gewandt. Er hatte bei allen Krankenhäusern angerufen, die er kannte, bevor ihm einfiel, Ruth auf ihrem Handy anzurufen. Jetzt, da er sie am Apparat hatte, entspannte er sich und vergrub seine Finger nicht mehr im Stoff von
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