Elfenkind
eingeredet, dass es die Aufregung über den Fund war, die ihn so angespannt gemacht hatte. Doch es war noch etwas anderes, da war er sich jetzt ganz sicher.
Etwas geschah, genau jetzt. Etwas nicht Gutes, etwas, was er verhindern musste. Das Gefühl war vage bekannt. Es fühlte sich fast an wie früher, als er noch im Auftrag des Hüters Unreine gejagt hatte. Aber es mischte sich noch etwas anderes hinein. Und außerdem – Unreine? Das sollte doch unmöglich sein. Nicht hier, nicht mitten in Köln …
Dennoch beugte er sich wieder über die Schrift, aber das Gefühl ließ ihm keine Ruhe. Er nahm sich noch die Zeit, das Manuskript wieder zu verstecken, dann verließ er mit langen Schritten den Lesesaal und eilte hinaus.
Die kühle Nachtluft auf seinem Gesicht brachte ein wenig Klarheit, die Unruhe allerdings blieb, das Gefühl einer Aufgabe, die er erfüllen musste. So klar hatte er dies das letzte Mal vor Jahrzehnten, vielleicht einem ganzen Jahrhundert gefühlt. Als sein Leben noch einfach war und er nicht in verstaubten Archiven einer alten Prophezeiung nachspürte.
Ziellos ging er durch die Straßen um den Dom, nicht wissend, wonach er eigentlich suchen sollte. Etwas würde geschehen, so viel stand fest, geschah vielleicht sogar schon jetzt gerade. Aber er hatte keine Ahnung, was oder wo.
Er sah ein, dass ihn dieses ruhelose Herumirren durch verlassene Straßen nicht weiterbringen würde. Er blieb stehen und zwang sich ganz bewusst zur Ruhe, öffnete weit seine Sinne und fühlte, wie sich sein Ziel, seine Aufgabe, deutlicher in ihm formte.
Um dem noch intensiver nachzuspüren, schloss er die Augen, sicher in dem Wissen, dass sich ihm hier auf offener Straße niemand unbemerkt würde nähern können. Außerdem war er immer noch zu sehr Krieger mit über Jahrhunderte in Fleisch und Blut übergegangenen Reflexen, um in diesem offenen Zustand, der ihn für alle Schwingungen in seiner Umgebung empfänglich machte, einen Angriff lange, bevor er geschah, zu spüren.
Da. Eine Anwesenheit, eine … Frau. Sie war in großer Gefahr.
Fast schlafwandlerisch folgte er seiner inneren Stimme durch eine ihm bisher verborgen gebliebene Tür, durch Gänge, die ihn bis tief unter den Dom selbst führten.
Die Anwesenheit der Frau in seinen Gedanken wurde intensiver. Doch auch die Dringlichkeit nahm weiter zu. Immer schneller ging er, bis er schließlich beinahe rannte.
Die Erkenntnis, dass tatsächlich Unreine hier waren, traf ihn wie ein Blitz. Uralte Instinkte flammten auf und seine Hand wanderte unwillkürlich an seine Seite, zu dem Schwert, das nicht da war, und er fluchte. Er wusste, es war nicht mehr seine Aufgabe, aber er konnte einfach nicht aus seiner Haut. Er musste weiter.
Er spürte die Anwesenheit weiterer Menschen hier unten, wenn auch lange nicht so deutlich wie sie . Sie war wie ein Feuer, ein leuchtender Stern in seinem Geist, auf seiner Seele.
Als brächte ihr Licht Klarheit erkannte er, dass er es nicht schaffen würde. Er kam zu spät. Sie würden alle sterben. Er konnte es nicht wagen, zu ihnen zu springen. Er kannte sich hier unten nicht aus, wusste nicht, wo genau sich die Gänge und Kammern befanden. Es war mehr als wahrscheinlich, dass er sich mitten im Gestein rematerialisieren würde – etwas, was selbst für einen Vampir schwerlich zu überleben war.
Verzweifelt versuchte er, mit seinem Geist eine Botschaft an sie zu senden, auch wenn er davon ausgehen musste, dass es eigentlich sinnlos war. Menschen konnte er über solche Entfernungen nicht erreichen. Und doch brannte etwas in ihr, etwas ihm Unbekanntes, etwas, was sie anders machte. Vielleicht war es doch nicht unmöglich. Auf jeden Fall war es einen Versuch wert.
Und wirklich – er konnte spüren, wie er zu ihr durchdrang. Er fokussierte seinen Geist weiter.
Nein, geh nicht zurück, komm weg von dort!
Sie folgte seinen Worten. Widerstrebend erst, dann immer leichter, konnte er sie mit seinen Worten und seinem Willen durch die verschlungenen Gänge zu sich leiten. Die Erleichterung, die er verspürte, als er sie endlich an sich ziehen, sie in seine Arme schließen konnte, war unerwartet und völlig überraschend.
Jetzt, da er sie bei sich hatte, schien ihm alles andere unwichtig. Die Unruhe, die ihn zum Aufbruch und letztendlich hierher getrieben hatte, fiel von ihm ab. Es wäre vermutlich ohnehin zu spät gewesen, die anderen Menschen zu retten, aber er versuchte es nicht einmal. Er wusste nicht warum oder wieso, aber es war klar, dass
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