Elfenkind
schüttelte über sich selbst den Kopf und checkte zum gefühlt Hundertsten Mal sein Handy, ob sein Kontakt beim Sondereinsatzkommando für paranormale Ermittlungen sich zurückgemeldet hatte. Er hatte ihm, direkt nachdem er Aliénor verlassen hatte, eine SMS geschickt, um ihn über die Attacke in Kenntnis zu setzen.
Er freute sich nicht darauf, ihn zu treffen. Die Details waren für ihn ohne Relevanz. Er wusste genau, was die Polizei dort unten vorfinden würde. Schließlich hatte er die blutigen Überreste eines Angriffs der Unreinen oft genug selbst gesehen.
Die Unreinen hielten sich für etwas Besseres, für die Krone der Schöpfung. Entsprechend behandelten sie die Menschen nicht besser als Schlachtvieh. Sie weideten sich im Gegenteil noch an ihrer Angst und ihrem Schmerz und schwelgten in ihrer eigenen Blutlust. Frédéric schüttelte angewidert den Kopf.
«Frédéric, du bist zurück. Hast du …»
Überrascht hob Frédéric den Kopf und sah seine Schwester Valentine in der Tür seines Arbeitszimmers stehen. Die Strenge ihres akkuraten Haarknotens und des klassisch geschnittenen Hosenanzugs mit der hochgeschlossenen Bluse verriet ihm genau wie ihre kontrollierte Körpersprache, dass heute keine gute Nacht für sie war. Er versuchte, seinen Gesichtsausdruck neutral zu halten, doch es war zu spät.
Sie brach mitten im Satz ab. «Was ist geschehen?», fragte sie hart.
Für einen Augenblick erwog er, ihr tatsächlich nichts von dem Angriff zu sagen, nicht heute Nacht. Aber letztendlich würde sie es doch erfahren müssen, und so würde sie es wenigstens von ihm hören. Dennoch wog er seine Worte sorgfältig ab.
«Es ist zu einem Zwischenfall gekommen», antwortete er ihr also, Gesichtsausdruck und Tonfall noch immer betont neutral.
Valentine trat ins Zimmer und runzelte die Stirn. «Zwischenfall?»
Er erwiderte ihren Blick wortlos, ließ sie die Wahrheit in seinen Augen lesen. Er erkannte genau den Moment, in dem sie begriff, was er meinte. Ihre blasse Haut wurde noch weißer und wenn sie sich auch gut unter Kontrolle hatte, war das plötzliche Aufblitzen des Schmerzes in ihren Augen doch für jemanden, der sie gut kannte, klar sichtbar.
Ja, Valentine hatte noch viel mehr als er, sehr genau Vorstellungen davon, was eine Attacke der Unreinen bedeutete. Ihr Körper mochte keine Spuren mehr tragen, doch ihre Seele würde vermutlich nie wieder völlig heilen.
Dennoch wies sie ihn mit einer scharfen Handbewegung zurück, als er um seinen Schreibtisch herum zu ihr gehen wollte. Frédéric ließ sich zurück in seinen Stuhl fallen. So schwer es ihm auch fiel, seine Schwester leiden zu sehen, er akzeptierte, dass sie ihren eigenen Weg finden musste, mit dem Erlebten umzugehen. Er wusste, sie wollte weder seine Hilfe noch sein Mitgefühl.
Sie setzte sich auf den Stuhl gegenüber dem Schreibtisch.
«Was ist geschehen?», fragte sie und er dachte, dass er wohl der einzige auf der Welt war, der das Zittern in ihrer Stimme wahrnehmen konnte.
«Sie haben eine Gruppe junger Leute überfallen, die in einer Gruft unter dem Kölner Dom eine Party gefeiert haben.»
Valentine nickte hölzern. Sie öffnete die Lippen, doch bevor sie etwas sagen konnte, schlenderte Emanuele del Castello ins Zimmer.
Der spanische Vampir war ein relativer Neuzugang zu ihrer Gruppe. Er wohnte erst seit einigen Wochen mit ihnen hier im Schloss und machte Valentine und damit indirekt auch Frédéric mit seiner leichtlebigen und frivolen Art das Leben schwer. Er schien nicht zu bemerken, dass Valentine seine Galanterien ihr gegenüber wenig schätzte, oder vielleicht hielt er ihre Abweisung auch nur für ein Spiel. Auf jeden Fall war er mehr als lästig.
Auch diesmal schien ihm die Spannung im Raum überhaupt nicht aufzufallen. Er spazierte zu Valentine hinüber, griff ihre Hand und beugte sich darüber.
« Señorita Valentina . Sie sehen heute Abend wieder einmal atemberaubend aus.»
Frédéric sah, wie Emanuele Valentine dabei vertraulich zublinzelte und fragte sich zum wiederholten Mal, warum der Hüter ausgerechnet ihn zu einem Sucher erkoren hatte. Andererseits fragte er sich das bei sich selbst ja auch. Nun, der Hüter würde schon wissen, was er tat. Wollte er doch wenigstens hoffen …
Valentine entzog Emanuele unsanft ihre Hand, die er noch immer in der seinen hielt.
«Sparen Sie sich Ihren spanischen Charme, Emanuele. Und nennen Sie mich nicht Señorita. Dafür bin ich schon zu alt.»
«Aber, mi amor , wie können Sie so etwas
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