Elfenkind
Lederhose, schwere Kampfstiefel. Ein Gürtel mit Pistole und Messer blitzte unter der Jacke hervor. Er war so groß, dass er den Kopf einzog, um unter dem Türrahmen hindurch zu kommen. Ein Koloss von einem Kerl, beeindruckend und unheimlich, den Kopf kahl rasiert, mit schwarz tätowierten Ornamenten an Schläfen und Hals, die Augen hinter einer dunklen Sonnenbrille versteckt. Er erinnerte Aliénor an Arnold Schwarzenegger als Terminator. Nur war das hier kein Spielfilm, sondern Realität.
Der unheimliche Fremde schloss die Tür hinter sich und lehnte sich mit verschränkten Armen von innen dagegen.
«Wann bist du nach Hause gekommen?»
Geoffrey würde keine Ausflüchte gelten lassen, soviel war von vornherein klar. Allmählich wurde Aliénor mulmig. Trotzdem wagte sie eine Gegenfrage.
«Was ist denn los, Papa?»
Er betrat fast nie ihr Zimmer und schon gar nicht um diese abartige Uhrzeit. Aliénor fröstelte unter seinem finsteren Blick. Ihr wäre wohler, wenn sie wüsste, was genau er hören wollte, beziehungsweise was ihn versöhnlicher stimmen würde. Aus irgendeinem Grund hatte er eine Scheißwut auf sie. Etwa nur, weil sie betrunken gewesen war? Aber das konnte er doch gar nicht wissen!
Geoffrey kam schweigend näher und winkte sie zu sich. Aliénor zog es vor zu gehorchen und hockte sich auf die Bettkante, während er sich den einzigen Sessel heranzog, als wolle er sich setzen, dann aber doch stehen blieb. Er sah sie nicht an, sondern starrte weiter auf ihren Mantel herab.
«Ich frage dich zum letzten Mal: Wann und wie bist du nach Hause gekommen?» Er hob den Blick und sah sie durchdringend an.
Aliénor fühlte sich von Sekunde zu Sekunde unwohler in ihrer Haut.
«Ich erinnere mich nicht», flüsterte sie und kam sich dabei ziemlich dämlich vor.
Geoffrey zog ungläubig die Augenbrauen in die Höhe. «Eine plötzliche Amnesie?», war alles, was er spöttisch erwiderte.
«Sag mir endlich, was los ist!», brach es aus Aliénor heraus. Verdammt! Warum quälte er sie so? Warum konnte er ihr nicht einfach sagen, was passiert war. Diese Ungewissheit war unerträglich.
«Ich habe deinen Mantel und deine Handtasche gefunden.»
Das konnte sie sehen. Aber das half ihr nicht weiter. In ihrem Hals bildete sich ein Kloß. Wo , lag ihr auf der Zunge zu fragen, wo hast du meinen Sachen gefunden? Aber etwas in seinem Ton und in seinen Augen hinderte sie daran, die Frage zu stellen, und ließ sie schaudern.
Der Fetzen einer vergessenen Erinnerung drang in ihr Bewusstsein. Der Schmerz in ihren Schläfen wurde heftiger. Christof – er hatte alle Eternal Romantics ihrer Gruppe zum Parkhaus bestellt. Sie sah vor ihrem inneren Auge alle vor sich, wie sie herausgeputzt waren, und dann hatten sie weitläufige Gänge unter der Erde durchlaufen. Aber was war geschehen?
Ein normaler Wutanfall ihres Vaters wäre ihr im Augenblick lieber gewesen, gleichgültig aus welchem Grund. Aber dies war die sprichwörtliche Ruhe vor dem Sturm und sie hatte nach wie vor nicht den Funken einer Ahnung, worauf er hinauswollte.
«Wie ich sehe, hast du dich noch nicht einmal ausgezogen.» Seine Lippen wurden noch schmäler und auf seiner Stirn bildeten sich Falten.
«Ich bin erst vor ein paar Minuten aufgewacht. Ich … ich weiß nicht, warum ich in meinem Kleid geschlafen habe», erwiderte sie unsicher. Seine körperliche und psychische Dominanz schüchterte sie in ihrer verwirrten Verfassung mehr denn je ein.
Geoffrey bohrte weiter: «Wie bist du hereingekommen? Deine Hausschlüssel waren in deiner Handtasche, du hast aber nicht geklingelt. Deine Mutter konnte mir nicht sagen, ob du zu Hause bist oder nicht.»
In Aliénors Handflächen bildete sich kalter Schweiß. Ihre Gedanken wirbelten wild durcheinander. Wer hatte sie nach Hause gebracht? Wie war sie in ihr Bett gekommen?
«Woher hast du meine Handtasche?», fragte sie schließlich und konnte nicht verhindern, dass ihre Stimme zitterte.
Geoffrey wischte ihre Frage mit einer ungeduldigen Handbewegung beiseite.
«Chantal hat fest geschlafen und dich nicht kommen hören. Also noch mal – wo warst du und wie bist du ins Haus gekommen?»
Hilflos sah sie zwischen den beiden Männern hin und her. «Ich … ich weiß es nicht», flüsterte sie.
Der Fremde an der Tür machte eine kleine Bewegung, blieb aber weiter stumm.
Goeffreys Stimme war scharf wie ein Messer. «Was willst du mir verheimlichen?»
Aliénors Lippen bebten. Eine Gänsehaut überzog ihre Arme und der Schmerz in
Weitere Kostenlose Bücher