Elfenkind
öffnete ihr die Tür und reichte ihr die Hand, um ihr beim Aussteigen zu helfen.
Vor ihnen lag eine beeindruckend breite Steintreppe und als Aliénors Blick nach oben schweifte, erkannte sie trotz der Dunkelheit, dass diese zu einem imposanten Bauwerk gehörte. Eine breite Fassade aus dunklem Stein, Türme, eine Fahne, die sich schwach in der fast windstillen Nachtluft aufblähte. Dunkle, unbeleuchtete Fenster, ein wenig unheimlich.
Sie wusste nicht genau, womit sie gerechnet hatte, aber ganz sicher nicht mit so etwas. «Hier wohnst du?», fragte sie ungläubig.
«Ja, hier wohne ich. Allerdings nicht alleine. Komm.»
Frédéric hielt ihr eine Hand entgegen und sie nahm sie, unsicher, was sie drinnen wohl erwarten würde. Darüber, dass er nicht allein leben könnte, hatte sie überhaupt nicht nachgedacht. Wen würde sie hier noch antreffen? Und was würden diese anderen von ihr denken?
Sie hatten kaum die vielen Stufen hinter sich gelassen, als sich das Eingangsportal öffnete und schwaches Licht von drinnen nach außen drang. Ein trotz der späten Stunde in einen schwarzen eleganten Anzug gekleideter Diener hielt ihnen die Tür auf und deutete eine Verbeugung an. Im selben Moment ging drinnen das Licht an.
«Bonsoir, M. le duc. Bienvenu à la maison.»
Ein Butler , dachte Aliénor. Das muss tatsächlich ein Butler sein. Natürlich wusste sie, dass es Menschen … Personen gab, die einen Butler beschäftigten. Sie hatte nur nie damit gerechnet, mal selbst einem gegenüber zu stehen.
Frédéric führte sie ins Haus.
«Guten Abend, Bertrand», erwiderte er ebenfalls auf Französisch. «Ich habe einen Gast mitgebracht. Das ist Mademoiselle Aliénor.»
Fräulein Aliénor. Merkwürdig, auf Französisch und aus seinem Mund klang das überhaupt nicht albern. Nur ungewohnt.
Bertrand verbeugte sich auch vor ihr. «Mademoiselle.» Seine Iris war sehr hell, in einem fast farblosen Grau. War er auch ein Vampir?
«Bitte geben Sie Roxanne Bescheid. Sie soll sich um Mademoiselle Aliénor kümmern. Und sorgen Sie bitte dafür, dass Mademoiselles Gepäck auf ihr Zimmer und der Wagen noch heute Nacht zurück zu M. d’Or nach Köln gebracht wird.»
Falls der Butler überrascht von diesen Anweisungen war, ließ er es sich zumindest nicht anmerken. Er nickte nur «Natürlich.»
Aliénor musterte ihn neugierig. Auf den zweiten Blick wirkte er jünger, höchstens Ende zwanzig, aber die förmliche Kleidung und die akkurat geschnittenen, kurzen Haare ließen ihn älter erscheinen. Seine Haut war blass wie Frédérics.
«Welches unserer Gästezimmer kann Mademoiselle Aliénor sofort beziehen?»
«Die rote oder die grüne Suite, Sire», erwiderte der Butler. «Ich denke aber, die rote wird dem Fräulein besser gefallen.»
Er bedeutete ihnen, ihm zu folgen und ging gemessenen Schrittes und ohne jede Spur von Hast voran.
Sie nahmen die rechte Seite der mit einem breiten dunkelblauen Teppich ausgelegten herrschaftlichen Treppe, die sich beidseitig emporschwang. Aliénor schaute sich neugierig um.
Sie befand sich hier in einem richtigen alten Schloss. Natürlich war sie schon einmal in einem gewesen, bei Schulausflügen und im Urlaub hatten sie welche besichtigt. Aber Frédéric wohnte darin, das war etwas völlig anderes.
Die Eingangshalle war riesig, erstreckte sich über mehrere Stockwerke. Ein an einer langen Kette herabhängender, übergroßer Kristallleuchter erhellte das Erdgeschoss und die Treppe. Die Glastropfen streuten ihr funkelndes Licht auf rau verputzte cremefarbene Wände, riesige Gobelins und alte Ölgemälde, die in massiven barocken Goldrahmen um die Aufmerksamkeit des Betrachters buhlten.
Die dargestellten, mit prächtigen Gewändern herausgeputzten Damen und Herren zeigten alle nur ein zurückhaltendes Lächeln mit geschlossenem Mund, und Aliénor fragte sich, ob sie das nur taten, um die in der Vergangenheit üblichen schlechten Zähne zu verbergen, oder ob es sich dabei tatsächlich ausschließlich um Vampire handelte. Alle sahen sich ähnlich und die meisten waren im durchschnittlichen Alter von dreißig bis vierzig Jahren abgebildet, als würden Vampire nicht altern. Unwillkürlich schoss Aliénor der Gedanke durch den Kopf, wie alt Frédéric wohl sein mochte.
Das Zimmer, in das Bertrand sie schließlich führte, war riesig. Es war so groß wie bei ihren Eltern zu Hause eine gesamte Etage. Der Raum wurde seinem Namen entsprechend von der Farbe Rot dominiert. Ein roter flauschiger Teppich, ein Sofa
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