Elfenkrieg
stieß sich von der Wand ab und trat aus der Enge zwischen den Häusern auf den Marktplatz hinaus. Hier spielten im Schatten der weiß gekalkten Mauern ein paar Kinder. Mit geschnitzten Figuren saßen sie am Boden und lachten. Eine Gruppe Elfen mit Weidenkörben in den Händen stand in der Nähe beisammen und sprach miteinander. Alles hier war so vertraut.
Ihr Blick fiel zurück zum Schloss. Das Tor war geschlossen. Auf der Brücke waren keine Wachen zu sehen. Auch auf dem Wehrgang war niemand. Dies war keineswegs vertraut.
»Herrin Thesalis!« Eine junge Elfe winkte ihr zu und verbeugte sich. Sie hielt ihr einjähriges Kind hoch, um es ihr freudestrahlend zu zeigen. Vinae erinnerte sich, diesen Jungen wegeneiner Vergiftung behandelt zu haben. Jetzt ging es ihm wieder gut.
Geistesabwesend nickte sie den beiden zu und setzte ihren Weg fort. Den Blick auf das geschlossene Tor gerichtet, schritt sie über die Brücke. Erst jetzt sah sie, dass einer der schweren Holzflügel einen Spalt weit offen stand. Ihre Hände zitterten, als sie die Handflächen auf das raue Holz legte und mit aller Kraft dagegendrückte.
Weder die klirrenden Schritte der Wachen noch das Schnauben der Pferde drang aus dem Schlosshof zu ihr. Sie hörte keine Bediensteten oder Pagen, keine Mägde oder Knechte. Einzig das Ächzen des Holzes und das Quietschen der Angeln waren zu hören, während sie das Tor aufschob.
Vinae trat in den schattigen Bogengang, der durch die Wehrmauer hindurch in den Hof führte. Ihre Schritte hallten als einziges Geräusch von den steinernen Wänden wider. Sie musste sich weiterzwingen. Die Ahnung zerquetschte ihren Magen zu einem schweren Klumpen und trieb Übelkeit hoch in ihren Hals.
Sie hatte das Ende kaum erreicht, da trugen sie ihre Beine nicht mehr weiter. Mit weit aufgerissenen Augen hielt sie inne und sah sich um. Ihr Geist verließ sie, als sie auf die vielen reglosen Körper blickte, die auf dem weißgepflasterten Hof lagen. Da war nur noch dieses Bild, ohne dass sie einen Gedanken dazu fassen konnte. Irgendwo flatterte ein Vogel vom Dachsims hoch, das Wasser des Springbrunnens gluckerte vor sich hin, Metall blitzte in der Sonne, doch nirgends war auch nur ein Tropfen Blut zu sehen. Sie alle lagen da wie umgeweht – direkt dort, wo sie eben noch gestanden hatten. Unerwartet und ohne Warnung.
Der schrille Schrei eines Falken ließ Vinae zusammenzucken. Ihr Blick flog in Richtung Falknerhof, wo vor dem Toreine braungewandete Gestalt mit kurzgeschnittenem, dunklem Haar lag, den tannengrünen Federhut neben sich.
»Meister Sril!« Ihr Bewusstsein schnellte zurück. Das Herz drohte ihr aus der Brust zu springen, als sie quer über den Schlosshof in den Schatten der Arkadengänge lief, unter welchen der Zugang zum Falknerhof lag. »Meister Sril!« Sie fiel neben dem Elfen auf die Knie und umfasste sein fahles Gesicht mit beiden Händen. Nichts wies auf eine Verletzung hin. Die geschlossenen Lider waren dunkel, ebenso die Lippen. Er sah aus, als wäre er erfroren, und doch fühlte sich sein Körper ungewöhnlich warm an. »O Meister Sril!« Vinae presste ihre Hände an sein Herz und jauchzte überrascht auf, als sie einen schwachen Schlag spürte.
»Ihr lebt!« Hoffnungsvoll bündelte sie die heilende Kraft in ihrem Inneren und suchte nach Verletzungen, Störungen des Gleichgewichts in seinem Körper, doch es war alles in Ordnung. Bis auf die spürbare Schwäche, als wäre das Leben aus ihm gewichen – lediglich ein geringer Rest war geblieben. »Haltet durch! Ihr werdet wieder zu Kräften kommen.« Vinae konzentrierte sich auf den leisen Herzschlag in seiner Brust und sandte ihm magische Energie. Ein Lachen entfuhr ihr, als das Blut immer kräftiger durch die Adern gepumpt wurde. Die Lider des Elfen flackerten, und schließlich öffnete er auch die Augen.
»Vinae«, krächzte er und blinzelte in die Sonne. Seine Hand umklammerte ihren Arm und drückte zu. Es war nur ein Wort, das er flüsterte, doch es lehrte sie Entsetzen – das magische Wort für Schatten: »Grogon«.
Im nächsten Moment fiel er zurück in die Bewusstlosigkeit, und Vinae benötigte einige Augenblicke, um wieder richtig zu sich zu kommen. Der Falkner musste sich täuschen. So etwas war nicht möglich.
Sie sah sich im totenstillen Hof um.
Was auch immer es gewesen war – es hatte kein Herz.
Von den wirrsten Gedanken befallen, rappelte sie sich schließlich auf und lief zu der nächsten regungslosen Gestalt. Überall suchte sie nach
Weitere Kostenlose Bücher