Elfenlicht
verzweifeltem Stolz erhoben. Die meisten von ihnen hatten die Augen geschlossen, um nicht zu sehen, was geschah, wie die Schatten durch die Leiber ihrer Freunde drangen und ihnen das Lebenslicht entrissen.
Guido wollte zu ihnen, doch vor ihm auf dem Boden war ein dünner, roter Strich, wie mit Blut gezogen, und es war unmöglich, ihn zu überschreiten. Ungläubig glitten seine Hände über die unsichtbare Mauer, die glatt und kalt wie Glas war.
Mariotte hatte ihn entdeckt. Ihre warmen, braunen Augen blickten voller Hoffnung, als sehe sie in ihm ihre Rettung. Sie streckte ihm die Hand entgegen. Der Bann, der sie gefangen hatte, schien gebrochen. Vielleicht, weil die Schatten eingedrungen waren.
Nur wenige Ordensbrüder lebten noch. Die meisten lagen zusammengekrümmt am Boden, entstellt wie Tomasin, das Fleisch von den Knochen gebrannt, ohne dass ihre Haut die kleinste Wunde zeigte.
Mariotte ging wie in Trance. Sie hielt die Arme vorgestreckt. Ein Schatten wirbelte um ihre nackten Füße.
Noch immer sang die Ordensschwester. Der Chor war leiser geworden. Nur Mariotte, Lucien und die beiden anderen Brüder, auf die Jules gedeutet hatte, lebten noch.
Mariotte presste ihre Rechte gegen die unsichtbare Barriere, hinter der Guido ausgesperrt stand. Sie war so nah und doch unerreichbar. Er versuchte ihre Hand zu berühren. Durch den Zauberbann hindurch konnte er ihre Wärme spüren, auch wenn er ihre Hand nicht zu berühren vermochte.
Wie schwarze Nebelschlieren stieg der Schatten an Mariotte empor. Doch sie achtete nicht darauf. Sie hatte aufgehört zu singen. Ihr Blick war fest auf Guido gerichtet, und dann lächelte sie inmitten all des Schreckens. »Ich weiß um deine Liebe.«
Ihre Worte verbrannten ihm die Seele. Verzweifelt hieb er mit den Fäusten auf die Barriere ein. Er trat gegen den Schutzwall und rammte den Kopf gegen die Mauer, bis ihm Blut aus der Nase quoll.
»Ich werde dich retten«, schrie er. »Ich hole dich dort heraus. Ich ....«
»Ich liebe dich auch«, sagte sie leise. Ihre Lippen berührten die Wand. Die schwarzen Schlieren hatten ihr Haupt erreicht. Sie atmete sie ein!
»Nicht, Liebste! Du darfst nicht ...«
Der warme Glanz erlosch in Mariottes Augen. Sie waren noch immer auf Guido gerichtet. Doch jetzt war es etwas anderes, das ihn ansah. Kalt, taxierend, gierig.
»Ich verfluche dich, Gott!«, schrie Guido. »Wo bist du in der Stunde, in der deine Kinder dich brauchen, Tjured? Was haben wir dir getan, dass du ein so schreckliches Strafgericht mit uns hältst?«
Mariottes Lippen wölbten sich vor, als wolle sie ihn küssen. Doch unter dem weichen Fleisch waren jetzt Fänge wie von einem Wolf zu sehen. Ein hechelnder Laut begleitete die obszöne Geste und ein Knacken, das einem das Blut gefrieren ließ. Guido konnte sehen, wie sich die Fänge weiter aus dem Kiefer schoben. Unter ihrer Haut wand sich etwas, als säßen fingerdicke Würmer in ihrem Fleisch. Ihr Leib sackte nach vorne. Immer schneller veränderte sie sich. Arme und Beine wurden dünner und länger. Ihr Rücken wölbte sich. Die blaue Kutte zerriss.
Lucien und die beiden anderen Brüder machten eine ähnliche Verwandlung durch. Schließlich hatten sie alle die Gestalt riesiger Hunde angenommen. Groß wie Pferde waren sie, doch hagerer. Kurzes weißes Fell bedeckte die ausgezehrten Leiber. Jules Geschöpfe umspielte ein blauweißes Licht. Man konnte durch sie hindurchsehen, manchmal zumindest. Denn hin und wieder schienen sie auch aus Fleisch und Blut zu sein.
Geifer troff von ihren langen Schnauzen, in denen mörderische Reißzähne blitzten. Ihren gierig funkelnden Augen war anzusehen, dass ihr Hunger nach dem Lebenslicht der Sterblichen noch lange nicht gestillt war.
»Warum?«, flüsterte Guido, der immer noch nicht fassen konnte, was geschehen war.
Der Wanderer sah ihn freundlich an. »Weil sie nun nützlichere Diener für mich sind. Es ist an der Zeit, Furcht und Schrecken in die Welt der Elfen zu tragen. Ihr seid die Geißeln Tjureds. Hätte ich euch als blau gewandete Priester geschickt, die Elfen hätten euch verlacht. Doch so werden sie die Furcht kennen lernen. Ihre Schwerter und Pfeile können euch nichts mehr anhaben.«
»Was hier geschehen ist, kann nicht Tjureds Wille sein!« Guido vermochte dem Wanderer nicht länger ins Gesicht zu blicken. Was für ein Geschöpf der Finsternis hatte sich in die Reihen der Priester geschlichen? Wie hatte das geschehen können? Und wie konnte Gott solchen Frevel
Weitere Kostenlose Bücher