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Elfenlicht

Elfenlicht

Titel: Elfenlicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Hennen
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schmucklos. Nur die beiden Fensterreihen, die weit oben bei den Galerien die dicke Mauer des Turms durchbrachen, bildeten eine Ausnahme. Die bunten Bleiglasfenster zeigten die berühmtesten Märtyrer der Tjuredkirche. Den heiligen Romuald, dessen zerschmetterte Glieder Heiden auf ein Rad geflochten hatten, oder die heilige Claudine, die man in Aniscans mit dem Kopf nach unten an einen Brückenpfeiler gefesselt und ertränkt hatte. So viele hatten ihr Leben für ihren Glauben gegeben.
    Guido schritt über das Herz des großen Sterns hinweg und eilte zu der Treppe, die verborgen hinter einer der Säulen lag. Einst hatte es hier nur einen klaffenden Spalt im Felsen gegeben, der hinab zur Höhle führte. Lächelnd erinnerte sich Guido an seine ersten Tage im Kloster. Er war nicht als Schreiber oder Miniaturenmaler hierher gekommen. Man hatte ihn geschickt, weil er ein guter Baumeister war. Er hatte mitgeholfen, die Treppe hinab ins Allerheiligste zu bauen, und er hatte der Höhle, in der Heiden über ungezählte Jahrhunderte ihre Götzen verehrt hatten, ein neues Gesicht gegeben. Die obszönen Bilder von nackten Weibern mit riesigen Brüsten hatte er unter schneeweißem Putz verschwinden lassen. Auf dem Opferstein stand nun ein kleiner Schrein aus Gold und Bleiglas, in dem drei Zehen des heiligen Guillaume verwahrt wurden. Ein Vermögen an Weihrauch hatte die bösen Geister der Heiden vertrieben und den alten Kultplatz zu einem Ort lichten Glaubens gemacht. Guido war stolz auf sein Werk, auch wenn er jetzt wie ein Dieb die Treppe hinabschlich.
    Er erreichte den Felsdurchbruch und spähte in die Höhle. Er war überrascht, wie wenig Kerzen aufgestellt waren. Sie reichten kaum aus, um die Dunkelheit zu vertreiben. Verärgert sah Guido, dass man einen weiten, roten Kreis auf den Boden gemalt hatte. Auf die kostbaren Platten aus honigfarbenem Sandstein!
    Neben dem kleinen Schrein mit den Zehen Guillaumes waren schwarze Kerzen aufgestellt worden. Dunkle Bußfäden zogen von ihren Flammen der Decke entgegen. Guido war erschüttert. Man würde die Decke neu tünchen müssen, wenn diese Kerzen lange brannten. Jetzt entdeckte er noch einen zweiten Kreis, der mit weißer Kreide gezogen worden war. Alle Ordensbrüder und -schwestern standen dort. Nur Tomasin fehlte. Er hielt sich neben Jules.
    Guido suchte unter den Gesichtern nach dem Antlitz von Lucien. Als er ihn entdeckte, war er überrascht. Der Abt lächelte verzückt.
    Jules sang etwas in einer fremden Sprache. Guido hatte keine Ahnung, worum es ging, doch die Melodie stimmte ihn melancholisch, und eine bange Ahnung ergriff ihn, dass dieses Lied nicht für Menschen geschrieben worden war.
    Die Flammen der Kerzen erzitterten, als habe ein plötzlicher Windstoß nach ihnen gegriffen. Mitten aus dem Höhlenboden wuchs ein Bogen aus goldenem Licht. Nie zuvor hatte Guido etwas so Schönes gesehen. Doch das Licht fasste eine Fläche aus Finsternis ein. Es war, als habe Bruder Jules ein Tor zu dem finsteren Abgrund jenseits der Sterne geöffnet.
    Die Stimme des Wanderers veränderte sich. Tief und kehlig klang sie nun. Und sie formte keine Worte mehr. Sie erinnerte an das Knurren eines Hundes, der mit gebleckten Fängen und zitternder Rute bereit stand, jemandem an die Kehle zu gehen.
    Seine Ordensbrüder und -schwestern drängten sich nun dicht um Lucien. Alle starrten sie zu Jules und Tomasin. Tomasin, der einst versucht hatte, es dem Wanderer in frommem Fasten gleichzutun, stand leicht vorgebeugt. Jules legte ihm beruhigend die Rechte auf den Rücken. Das Gesicht des Ordensbruders war schmerzverzerrt. Er riss den Mund weit auf und würgte, bis ein Faden aus klebrigem, zähem Licht von seinen Lippen troff.
    Der dicke Jacques versuchte zu fliehen. Doch eine unsichtbare Wand hielt ihn wie alle anderen gefangen. Seine Fäuste trommelten gegen das Hindernis, bis ihm Blut unter den Nägeln hervorquoll. Er presste sich mit aller Kraft seines massigen Leibes gegen den Zauberwall, doch es war unmöglich zu entkommen.
    Lucien streckte die Arme weit aus, als wolle er alle seine Brüder und Schwestern an sich drücken. Jetzt hämmerten auch andere gegen die unsichtbare Gefängnismauer. Doch die meisten standen einfach nur da und starrten. Der Lichtfaden, den Tomasin erbrach, wand sich wie ein Wurm und kroch der Finsternis unter dem goldenen Lichtbogen entgegen.
    »Lass meine Kinder gehen!«, rief Lucien verzweifelt. »Was immer du tun musst, nimm mich!« Der Wanderer schien den Abt nicht zu

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