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Elfenlicht

Elfenlicht

Titel: Elfenlicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Hennen
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nur Gundar hier wäre! Der alte Luthpriester aus Firnstayn war sein Freund gewesen. Gundar war gestorben, weil er ihn in den Bergen nicht allein gelassen hatte. Ihn zu tragen hatte die Kräfte des Priesters aufgezehrt.
    Ulric schluchzte leise. Er brachte allen Unglück. Er hätte Gundar nicht folgen dürfen, dann würde der Priester vielleicht noch leben. Und wenn er in Honnigsvald nicht vom Schlitten seiner Mutter gesprungen wäre, dann wäre gewiss alles ganz anders gekommen. Mutter hatte alle, die ihr folgen wollten, hinaus aufs Eis geführt. Aber sie hatten Halgard verloren. Halgard war blind, und im Durcheinander der mit Flüchtlingen überfüllten Stadt hatte sie nicht rechtzeitig zu den Schlitten zurückgefunden. Ulric hatte sie doch nicht einfach ihrem Schicksal überlassen können! Deshalb hatte er sich davongestohlen. Er war sich ganz sicher gewesen, es rechtzeitig zurückzuschaffen. Er hatte den letzten der Schlitten sogar fast noch berühren können. Seit diesem Tag in Honnigsvald hatte er seine Mutter nicht mehr gesehen.
    Ulric kämpfte mit den Tränen. Sein Vater sagte, dass Asla nur in die Berge gegangen sei, um sich zu verstecken. Auch Sunnenberg war zuletzt von den Trollen erobert worden. Aber die Mehrheit der Frauen und Kinder hatte es geschafft, über den Rentiersteig in die Hochtäler zu flüchten. Noch immer waren Suchtrupps in den Bergen unterwegs. Trotz all der Wochen, die seit der Flucht vergangen waren. Ulric wusste, was die Verzagten hinter vorgehaltener Hand flüsterten. Dass niemand dort oben überleben konnte, wenn er keinen Unterschlupf und einen Vorrat an Holz und Lebensmitteln hatte. Man hatte viele Leichen in den Tälern gefunden. Die Flüchtlinge waren lieber erfroren, als den Trollen in die Hände zu fallen.
    Der Junge blickte zu dem steilen Pfad, der unweit der neuen Hütten den Hang hinaufführte. Es war der Weg, den die Rentiere nahmen, wenn sie zu Beginn des Winters die kalten Hochtäler verließen. Das Schneetreiben verwischte die Sicht.
    Dort würde Mutter kommen, da war sich Ulric ganz sicher. Und sie würde Kadlin mitbringen. Er war oft wütend auf seine kleine Schwester gewesen, weil seine Eltern nur noch sie beachtet hatten. Aber jetzt wäre ihm sogar Kadlin willkommen. Er dachte daran, wie sie sich manchmal an ihn gedrückt hatte. Mit ihren kleinen Armen seine Beine umarmt hatte, dann den Kopf in den Nacken gelegt und ihn stumm angehimmelt hatte ... Ulric biss sich auf die Lippen und kämpfte mit den Tränen. Sie waren nicht tot! Sie würden den Rentierpfad wieder hinabkommen. Vielleicht sogar heute noch.
    Ulric saß ganz still. Er beobachtete, wie der Schnee einen weißen Schleier über seinen Umhang wob. Erst war er nur ein zartes, löchriges Netzwerk, dann wurde er langsam zu einem zweiten, weißen Mantel.
    Die Kälte kroch dem Jungen langsam in die Glieder. Sie kam vom Nacken und fraß sich den Rücken hinab. Ulric schloss die Augen. Noch würde er nicht gehen! Er wollte Wache halten am Rentiersteig, gerade jetzt, wo alle anderen in ihre warmen Hütten flohen. Niemand wäre da, wenn Mutter und Kadlin jetzt kämen. In Honnigsvald war er verloren gegangen ... Aber jetzt würde er alles wieder gut machen. Er wäre da, wenn sie käme.
    Fröstelnd zog er den Umhang enger um die Schultern. So ein bisschen Schnee würde ihn nicht von seinem Posten vertreiben. Angestrengt blickte er ins Schneegestöber. Keine fünfzig Schritt weit konnte er sehen. Es war unheimlich still. Selbst der Wind schwieg. Die dicke Schneedecke erstickte jedes Geräusch.
    Den tanzenden Schneeflocken zuzusehen, machte müde. Das weiße Flimmern ließ die Augenlider schwerer und schwerer werden. Ulric gestattete sich, die Augen für ein paar Herzschläge lang zu schließen. Die Kälte machte ihm jetzt nichts mehr aus. Er fühlte sich ganz behaglich in seinem schneebedeckten Umhang. Er wusste, dass man draußen im Schnee nicht schlafen durfte. Aber Dösen war erlaubt. Nur einen kurzen Augenblick lang. Nur ... Ein seltsamer Geruch stach ihm in die Nase. Es stank wie nach faulen Eiern. Ob jemand in der Nähe seinen Nachttopf geleert hatte? Der Unrat würde bald unter dem Schnee verschwinden, und dann wäre es auch mit dem Gestank vorbei.
    »Ist dir nicht kalt?«
    Erschrocken fuhr der Junge auf. Nicht weit entfernt ragte ein blauer Schemen im tanzenden Weiß auf. Ulric blinzelte. Nein, kein Schemen. Ein Mann in einem blauen Umhang. Ulric fluchte stumm. Er musste eingenickt sein. Sonst hätte er die

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