Elfenlicht
ein Priester, der die Zeichen des Gottes falsch ausgelegt hat. Warum sollte Gott wollen, dass wir seine Botschaften nicht verstehen, wenn er sich schon die Mühe macht, mit uns zu sprechen? Das ergibt doch keinen Sinn.«
Ulrics Herz schlug jetzt schneller. Darüber hatte er sich auch schon einmal mit Gundar unterhalten, und er war so stolz, eine gute Antwort zu haben, dass seine Zunge über die vielen Worte stolperte, als es aus ihm heraussprudelte und er deshalb vor Aufregung stotterte. »Das ist so. Für die Götter sind wir wie Kinder. Wie ganz kleine Kinder. Sie wissen viel mehr über die Welt und das Leben als wir. Und sie gebrauchen manchmal Worte, die wir nicht in all ihren Bedeutungen begreifen. Meistens sind ihre Zeichen deutlich. Aber mitunter, wenn sie sehr in Gedanken sind, dann vergessen sie, dass sie zu Kindern reden. Dann kommen uns ihre Zeichen und Omen sehr sonderbar vor. Dann verstehen wir sie nicht, weil sie sich so sehr von uns unterscheiden.«
Jules nickte ernsthaft. »Also machen eure Götter Fehler.«
Der Junge zuckte mit den Schultern. Was sollte das denn jetzt schon wieder? »Jeder macht Fehler.«
»Nein, Ulric. Es gehört zum Wesen der Menschen, Fehler zu machen. Tjured macht niemals einen Fehler, weil er ein Gott ist. Ich zweifle ja nicht einmal daran, dass es hier mächtige Geschöpfe geben mag, die ihr einfach Götter nennt. Aber sie sind es nicht. Sie sind grausam und spielen mit den Menschen, weil sie ihnen weit überlegen sind Tjured ist niemals grausam. Sein Herz ist voller Güte.«
So ein dahergelaufener Schwätzer!, dachte Ulric wütend. Was wusste er schon! »Luth ist auch ein gütiger. Gott.« Kaum waren die Worte heraus, da bereute sie der Junge schon. Es war dumm, den Fremden zu ärgern. Und er hatte ihn offensichtlich verärgert, auch wenn er es zu verbergen suchte. Etwas mit seinen Augen war geschehen. Ganz kurz nur. Sie schienen wie Abgründe, und Ulric fühlte sich wie ein Käfer unter dem Blick eines Riesen.
»Meine Worte werden dich vielleicht schmerzen, aber du hast es verdient, die Wahrheit zu sehen. Du hast einen wachen Verstand, Ulric. Ich werde ihn mit der Wahrheit erleuchten. Doch sei gewarnt, du wirst die Welt nie wieder so wie die anderen deines Volkes sehen. Dein Gott Luth ist ein schrecklicher Tyrann. Ein Wesen, nicht Mensch und nicht Himmlischer. Es gibt viele von seiner Art, und die Menschen haben viele Namen für sie. Man nennt sie flüsternd Dämonen oder Nachtmahre. Selbst die Elfen kennen diese Kreaturen und haben Angst vor ihnen. Dort heißen sie Yingiz. Sie können nicht in unsere Welt gelangen. Aber manchmal sind sie in unseren Träumen, oder sie schicken uns Botschaften. Dabei sinnen sie immer auf unser Verderben. Du glaubst, deine Götter holen ihre Helden in Goldene Hallen, die in der großen Dunkelheit liegen? Du irrst dich. Dort, wo du nach deinem Tod hingehen wirst, gibt es nur Dunkelheit. Allein Tjured kann uns erretten, denn er ist das Licht. Deine falschen Götter hingegen machen dich schon in deinem Leben zu ihren Sklaven. Sieh dir doch an, was Luth tut. Er webt deinen Schicksalsfaden. Er bestimmt jeden deiner Schritte im Voraus. Nicht einen Herzschlag lang in deinem ganzen Leben bist du frei. Was immer du tust, er hat es bestimmt. Ein Sklave ist frei im Vergleich zu dir. Kein menschlicher Herr kann ihn so gängeln, wie Luth seine Kinder gängelt, wenn er seinen Schicksalsfaden um ihr Sklavenhalsband legt und sie durch ihr jämmerliches Leben zerrt. Tjured hingegen schenkt uns die Freiheit. Er nutzt seine Macht als Gott so maßvoll, dass Zweifler leicht behaupten können, es gebe ihn nicht, denn sein Wirken hinterlässt kaum eine sichtbare Spur außer dem Glücksgefühl, das aus wahrer Freiheit erwächst. Ich entscheide in jedem Augenblick, wohin ich mein Leben lenke, aber ich trage auch die schwere Bürde zu wissen, dass ich ganz allein für meine Taten verantwortlich bin. Und sollte ich ein Schurke sein und klug genug, um meiner Strafe im Leben zu entgehen, so werde ich am Ende meiner Tage vor meinem Richter stehen, jenem stummen Beobachter, der um all meine Taten weiß. Und war mein Leben voller Licht, dann wird er mich im Licht aufgehen lassen. Haben meine Taten aber Dunkelheit in das Leben anderer gebracht, dann wird er mich verstoßen, und ich gelange in die Finsternis, wo die Yingiz, die Dämonen, die falschen Götter herrschen. Was hat mir Luth hingegen zu bieten? Eine Entschuldigung für jede meiner Taten, denn sie waren ja alle
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